Punk / Rock/ Metal aus Ungarn: Neues von The Hellfreaks
Ich erinnere mich an einen Artikel im Dynamite Magazin, vor fast einem Jahrzehnt, in welchem einige der stärksten Powerfrauen im Psychobilly und Punk von ihren Erfahrungen mit Sexismus in der Branche erzählten. Eine von den toughen Ladies ist Shakey Sue von der ungarischen Band The Hellfreaks, die sich nicht nur gegen Machismus sondern auch gegen Kritik am musikalischen Umschwung ihrer Band erfolgreich behauptet. Das hat mich damals sehr beeindruckt! Dass es in einer untergrundigen, rauhen Musikszene wie dem Psychobilly, dominiert von Haudegen wie Mad Sin und The Meteors, Frauen wie Shakey Sue, oder Kitty von Kitty In A Casket, gibt, die den Kerlen mit ihrer Energie die Kinnlade runterfallen lassen. The Hellfreaks brachten 2009 ihre Demo raus und gewonnen damit in ihrem Heimatland Ungarn einen nationalen Wettbewerb. Mit dem Preisgeld drehten The Hellfreaks ihr erstes professionelles Musikvideo zu „Boogie Man“ welches bis heute eines der am meisten geklickten Videos im Subgenre Psychobilly auf YouTube ist.
Bald darauf kam dann das Debütalbum Hell Sweet Hell (2010) beim Label Wolverine raus und machte die Band schnell international bekannt. Ständig im Vergleich mit anderen „female fronted“ (eine Bezeichnung, gegen die sich Sängerin Sue übrigens energisch wehrt) Psychobilly- und Punk-Bands werden Parallelen zu The Creepshow, Horrorpops und Kitty In A Casket gezogen – wobei The Hellfreaks von Anfang an ihren eigenen Sound prägen. Deutlich rockiger und rhythmisch stakkato-mäßiger, wir werden bei unserer Album Review gleich sehen, dass auch bei der neuen Scheibe das Thema Rhythmus ein wichtiges Stilelement ist. Das Debüt-Album Hell Sweet Hell ist damals noch sehr im musikalischen Kosmos des old-school Psychobilly verortet, mit klapperndem Kontrabass und im typischen Blues-Schema. Beim zweiten Album arbeiteten sie für den nächsten Clip mit einem französischen Regisseur zusammen und das Video zu Godless Girl’s Fun (2013) wurde sogar beim Filmfestival in Cannes 2013 gezeigt.
The Hellfreaks sind seit ihrer Gründung ständig auf Achse und konstant dabei, sich musikalisch zu entwickeln. 2014 kommt es daher zum Bruch beziehungsweise zu einer Pause. Sängerin Shakey Sue gruppiert neue Musiker um sich herum, um einen ganz anderen, deutlich punkigeren Sound zu machen. Der Kontrabass wird ausgetauscht gegen den E-Bass und insgesamt ist das Album Astoria (2015) wesentlich mehr an einem modernen, frischen Punk orientiert, kombiniert mit einer leichten Dosis Hardcore, verrät die Webseite der Band. Astoria polarisierte natürlich das Publikum. Das erste Album im neuen Line up klingt wesentlich trockener, mittiger, mehr volle Fahrt voraus als die vorigen Werke. Die alteingesessenen Psycho-Fans reagierten zum Teil konsterniert, zum Teil aber brachte der musikalische Neuanfang der Band neue Fans, genug um dass sich die Hellfreaks nicht haben abschütteln lassen. Und das ist auch gut so! So legen The Hellfreaks in der aktuellen Besetzung (Jozzy an der Gitarre, Gabi Domján spielt Bass, sowie zweite Gitarre und singt im Hintergrund, Béla Budai am Schlagzeug, sowie natürlich Frontfrau Shakey Sue) bald ihr neues Album God On The Run (GOTR) vor, in das Skull News exklusiv schon einmal reinhören durfte! Vielen Dank an die Band für euer Vertrauen!
Im Vorfeld machten The Hellfreaks ihren Fans auch schon mit ihren drei Single-Auskopplungen samt Musik-Videos zu den Liedern „Men In Grey“ (August 2019), „Red Sky“ (November 2019) und „Witches Heal“ (Dezember 2019) ordentlich Lust auf mehr. Vorab: Die Videos sind in ihrer künstlerischen Gestaltung so bunt, freaky, kraftvoll und rhythmisiert, wie das neue Album klingt!
Review zum neuen Album The Hellfreaks God On The Run (Januar 2020)
Das im Januar 2020 beim deutschen Label Sunny Bastard Records erscheinende Album God On The Run wurde zum Teil in den USA produziert. Beim Artwork und bei der musikalischen Gestaltung konnten sich The Hellfreaks auf namhafte Kollegen verlassen, wie zum Beispiel András Bödecs (Album Cover; Sänger von Idoru), oder Joe Carter-Hawkins (Sänger bei All But One), der seine Stimme für den Background lieh. The Hellfreaks haben sich also erfolgreich ein internationales Netzwerk aufgebaut und herausgekommen ist dabei ein in sich stimmiges Album. Wir werden in unserer Review zeigen, dass GOTR einem einheitlichen Konzept folgt, das gut aufgeht, deshalb werden wir kurz zu jedem Song einzeln was schreiben. Einen kleinen Wermutstropfen hat GOTR: Es ist sehr kurz! Schon die Titel der Tracks mit je nur einem oder zwei Wörtern sagen uns, diese Band will keine Zeit verlieren sondern volle Fahrt voraus abrocken! Die dreiminütigen Songs kommen in dieser Reihenfolge:
The Hellfreaks Album God On The Run (2020) Tracklist
01 – Men In Grey
02 – Red Sky
03 – Hello Sea!
04 – Doldrum Dynasty
05 – Witches Heal
06 – Royal Blue
07 – Adrenalized
08 – As Above
09 – Clear Water
10 – Tabby
Zehn Lieder, alle à drei Minuten. Das Album ist also kurz und knackig. Shakey Sue schreibt dazu in ihrer Mail ans Skull News Team, dass sie durchaus noch anderes Material haben, welches aber ihrer Meinung nach nicht ins Albenkonzept gepasst hätte. Das Ergebnis ist auch in der Tat stimmig, alles klingt aus einem Guss. Man könnte einwenden, dass die Refrains der Lieder insgesamt alle recht ähnlich sind – jedoch ist es von Vorteil, dass The Hellfreaks sich in GOTR auf eine einheitliche Erscheinung festlegen. Denn sie mischen eh schon einige Subgenres auf dieser Platte, weshalb GOTR einiges an Abwechslung bietet. Ein roter Faden ist also eine gute Sache! Immerhin nennen sie sich „Freaks“ und stehen damit sowieso schon unter dem Erwartungsdruck, erneut zu überraschen und genau das tun The Hellfreaks mit dem neuen Album. Sie erfinden sich erfolgreich neu: die Wurzeln im Psychobilly sind immer noch zu hören, auch der Punk ist nicht tot. Aber die Gitarrenriffs und Bassläufe sind nun deutlich härter, das Schlagzeug wechselt spielend in heavier Rhythmen mit der einen oder anderen Prise Blastbeats aus dem Metal, sodass nun klar wird, warum die Band sich mittlerweile als „punk / rock / metal“ bezeichnet. GOTR ist wesentlich basslastiger und es hat mehr Punch als die vorigen Alben. Auch stimmlich geht Sue noch mehr auf’s Ganze als zuvor.
GOTR startet gleich mit den beiden Singles „Men In Grey“ und „Red Sky“ durch, unserer Meinung nach die besten Songs auf der Scheibe, doch auch die folgenden Lieder haben einiges zu bieten. „Men In Grey“ leitet mit einem heftigen Gitarrenriff ein, das fast schon nach Metal klingt, jedoch bleibt der Punk-Rhythmus den Wurzeln der Band im Psychobilly treu. Es kommt schnell ein extrem energiegeladener Refrain, das ganze Lied ist ein echter Wake up Call gleich zu Beginn. Der Sound ist mehr basslastig produziert als die vorigen Alben, das Mastering klingt sauber und dreidimensional. Es tut den Liedern insgesamt sehr gut, dass die Jungs passende Background Vocals einstimmen und dass der E-Bass mehr Druck bringt. In der Mitte des Liedes geht ein virtuoses Gitarrensolo ab, welches ebenfalls starke Einflüsse aus härteren Subgenres aufzeigt.
In „Red Sky“ spielen The Hellfreaks im Refrain noch mit dem guten alten Psychobilly, er ist eingängig und macht Spaß, darauf folgt ein kurzes aber feines Gitarrensolo und zwei neue Melodieparts stellen sicher, dass ein gewöhnliches Strophe-Refrain-Spiel abwechslungsreich aufgemischt wird. Das Lied ist merklich komplexer als „nur Punk“. Beide Singles legen gleich das Tempo des Albums vor, schnell, kraftvoll, häufige Rhythmuswechsel, eingängige Melodien und treibende bis aggressive Gitarrenriffs – da kann einem schnell die Puste ausgehen. Es wäre also gut, wenn es im Laufe des Albums ein zwei Ruhepole geben würde, einen eher ruhigeren Song wie „Queen Of The Psycho Scene“ vom Debüt-Album Hell Sweet Hell. Doch auch dieses Lied war damals keine romantische Ballade, es bleibt aber eines der „sanfteren“ der Band bis heute. So wie Sängerin Shakey Sue mittlerweile ihre Gesangskünste ausgebaut hat, wäre es spannend zu hören, wie ein ruhigeres Lied in der aktuellen Bandkomposition klingen könnte, so à la „Sleep Tight“ von The Creepshow. Vielleicht eine Idee für das nächste Album!
In der Tat ist Track 3, „Hello Sea“, ein bisschen relaxter als die zwei ersten, und der Leadgitarrist Jozzy weiß, wie man gezielt mit eingängigen Melodien dem Song Halt gibt. Es gibt in den Strophen ein schönes Zusammenspiel von Bass und einer eher zurückhaltenden Gitarre, wodurch die Gesangsstimme schön zur Geltung kommt. Aber es bleibt nicht lange „ruhig“, denn im Refrain geht es Punkrock-mäßig ab. Nummer vier, „Doldrum Dynasty“, verspricht im Titel eigentlich etwas Düsteres, Zurückhaltendes, so bedeutet englisch „doldrum“ etwas wie „Niedergeschlagenheit, Depression, Stille“. Doch The Hellfreaks wären nicht sie selbst, wenn sie mit dieser Erwartung nicht brechen würden. Entsprechend geht es dann im Lied ziemlich schnell ab. Der Refrain ist passend zum Konzept des Albums hymnisch und regt zum Mitsingen an.
Mit „Witches Heal“, der dritten Single, werden im Intro noch einmal Erinnerungen an „Boogie Man“-Zeiten wach, jedoch sind Schlagzeug, Bass und Gitarre hier viel härter. Das Distortion-Pedal wird ordentlich durchgedrückt, auch gesanglich gibt Sue Vollgas. Trotzdem ist es eher eins der schwächeren Lieder. Der Refrain („we are we are“) wird jedoch mit Sicherheit live das Publikum anheizen.
In „Royalblue“, Lied Nummer 6, klappt das nicht so gut, da der Text im Chorus nicht auf einen Anhieb zu verstehen und zu merken ist. Musikalisch gefällt an diesem Lied die Mischung aus Hard Rock, Metal und Punk – auf instrumentaler Ebene funktioniert es gut. In „Adrenalized“ gibt das Schlagzeug am Anfang gleich mal vor, dass es ein schneller Song wird. Schöne perlende Leadmelodien der Gitarre gegen treibende Drums, dazu ein mitreißender Refrain – das wird auf jeden Fall ein super Song für die Bühne sein! Passend zum Titel fordert der Text dazu auf, den Hintern hoch zu kriegen und wer dazu noch rumlümmeln kann ist eigentlich – eine Pflanze.
In den folgenden drei Songs passiert dann musikalisch viel, was sie zu den interessantesten auf dem Album macht. „As Above“ beginnt wie viele Songs auf GOTR mit einem heftigen Gitarrensolo, nimmt die Intensität aber dann zur Strophe etwas raus. Zur Mitte des Lieds wird der Gesang sogar ein bisschen sanfter, genauso wie die Instrumente, nur um einen schönen Kontrast zu einem energiegeladenen Gitarrensolo und einem kraftvollen letzten Refrain zu machen. Die Lyrics erzählen von der Frage nach der Authentizität, eine Frage, der man sich als Band stellen muss, wenn man seinen Stil so stark ändert, wie es die Hellfreaks in den letzten Jahren getan haben. Trotzdem ist noch eine gute Portion der „alten“ Hellfreaks im aktuellen Album zu hören. Nur Hardcore Psychobilly-Fans werden es wohl nicht mögen. Track 9, „Clear Water“, hat eins der Lieblingsintros des Albums sowie eines der besten Soli. Das Lied zeigt auch eine große Abwechslung im Gesang und im Einsatz der Instrumente und es ist eines der heaviesten. Gerne weiter so!
GOTR endet mit „Tabby“, musikalisch ebenfalls ein Highlight. Es geht es erst einmal ruhig und sinnlich an, Shakey Sue zeigt hier eine verführerische Seite. Minus die starken Effekte auf der Stimme (die man je nach Geschmack zu viel finden könnte) hört man wie variantenreich Sue singt. Die Effekte passen dann doch zum Sound des Lieds insgesamt, da im Hintergrund auch ein Synthesizer für mehr Dreidimensionalität im Klang sorgt. Er ist klar einer der spannensten Songs des Albums! Und dann endet er abrupt und mit ihm God On The Run. Also, gleich noch einmal anhören, oder?
Für GOTR verrät uns ein Blick in die Lyrics, dass Sue immer noch die wilde Powerfrau ist und Spaß am Freak-Sein hat. Ihre neuen Lieder spielen gerne mit den Gegensätzen, wenn sie von Ruhe und Niedergeschlagenheit sind, zum Beispiel, dann röhrt es einem eigentlich ganz schön entgegen. Es geht um das Unterbewusste, um (Alp-) Träume, um Magie und Zirkus, um das (wo-) anders sein, eben um das „Freak“ sein. Sich nicht unterkriegen zu lassen und zurück zu schlagen, wenn das Leben nicht so läuft.
Diese Power kommt stimmlich super rüber, man hört deutlich, wie viel Live-Erfahrung Sue mit The Hellfreaks in unterschiedlicher Komposition in den letzten zehn Jahren gemacht hat. Sie setzt ihren Gesang ausdrucksstark und vielfältig ein, was echt Lust macht, die Band bald auf der Bühne zu sehen. Wie erwähnt wäre es ein nächster musikalischer Schritt, etwas leisere Töne auszuprobieren, um den Kontrast zu den härteren Gesangspassagen noch stärker zu machen. Oder vielleicht wird Sue auf dem nächsten Album noch mehr in Richtung Metal gehen und beginnen zu growlen, wenn es momentan eh schon härter abgeht? Wir werden sehen was die Zukunft bringt!
Alles in Allem ist God On The Run eine runde Sache und haut ordentlich rein.
Welche Musik passt zum neuen Album God On The Run von The Hellfreaks (2020)
Wenn euch das neue Album auch gefällt, dann hört mal in diese Bands rein. Hier sind auf jeden Fall musikalische Überschneidungen zu hören:
Brass Knuckle Boogie – Bloody Moon
Zeal&Ardor – Row Row
The Hellfreaks – Red Sky
The Secret Saints – Blame Me
Northward – Big Boy
Killin Baudelaire – Don’t give a f**k
Halestorm – Love Bites