SEVENTH STATION – On Shoulders of Giants (21.02.2025)

SEVENTH STATION – On Shoulders of Giants (21.02.2025)

Viel ist in der Vita des multinationalen Extreme Prog Metal-Konglomerats SEVENTH STATION passiert, seit wir euch im November 2022 das letzte Album vorgestellt und sie kurz darauf auf einem Teil ihrer Minitour begleitet haben. Die Aufnahmen am Folgealbum, das Ende Februar bei LAYERED REALITY PRODUCTIONS in Form einer 5-Track-EP erschienen ist, fanden wieder an verschiedenen Orten in der Welt statt. Vergangenes Jahr traten sie im Rahmen einer weiteren kleinen Tour in Slowenien, Bulgarien und Serbien auf und testeten dabei auch das neue Material an.

2025 können die süßen Früchte, nach denen sie greifen, gar nicht hoch genug hängen. Die neue EP wird allseits hoch gelobt und sie haben eine neue musikalische Heimat bei LAYERED REALITY PRODUCTIONS gefunden; sie touren Ende April/Anfang Mai auf dem englischen Zweig der Tour von IMPERIAL AGE und werden noch vor Ostern erstmals in Deutschland beim renommierten ART ROCK FESTIVAL in Reichenbach im Vogtland auftreten und sich präsentieren.

Was können wir also von der neuen EP erwarten?

Zunächst einmal ein Novum – es handelt sich um Coverversionen, respektive Verbeugungen vor avantgardistischen Klassikern des 20. Jahrhunderts.

  • Three Days in Dresden…………………………………2:52
  • Seid nüchtern und wachet…: VII. Es geschah…5:41
  • Tropical Limbo…………………………………………… 7:50
  • Melodia Sentimental…………………………………….3:31
  • Nagasaki Kisses………………………………………… 7:34

Es ist wenig überraschend, daß – wie in „The Ruthless Koba“ auf Heal the Unhealed – Dmitri Schostakovitsch in neuem Gewand erstrahlt. Das 8. Streichquartett in C-moll, Op. 110, 2. Satz (Allegro molto), geht im Opener „Three Days in Dresden“ auf und wirkt in Dmitri Alperovitchs Arrangement noch tighter, noch wuchtiger als das Original mit den Streichern. Die Rhythmussektion aus Bass und Schlagzeug stellt das Fundament, während Keyboard und Gitarre zu immer tollkühneren Schiffschaukelschwüngen über den gähnenden Abgrund ansetzen und sich nach knapp drei Minuten fast ansatzlos um die eigene Achse überschlagen. Wer Probleme mit hohem Blutdruck und schnellem Puls hat, sollte sich hier lieber vorsehen.

Nach dem Einstiegsinstrumental wird es Zeit für das erste Vokalstück und damit Vidi Dolevs Auftakt. Dieser agiert ohnehin nach dem bewährten Motto „Lebe lieber ungewöhnlich“. Alfred Schnittkes Faust-Kantate von 1982/83 in deutscher Sprache, die von der Intonation und Artikulation her vorsichtig ausgedrückt eher für fortgeschrittene Vokalisten geeignet ist und eine Prise Wahnsinn erfordert, ist ihm auf den Leib geschneidert. „Seid nüchtern und wachet“ ist in Prosa getextet und damit zur Interpretation herausfordernd, insbesondere für einen Vokalisten, der Deutsch nicht im Reigen seiner beherrschten (Fremd-) Sprachen führt und von dem maximal ein Rammstein-Cover in zarter Jugend bekannt ist. Was macht Vidi aus dem Stück? Eine Zusammenfassung seines bisherigen Schaffens, ganz einfach. Wir fangen mit Grabesstimme zu Horrorfilmakkorden an, streuen humoristische Surfrockelemente ein, lassen Karel Gott glockenklar wieder auferstehen und wechseln ansatzlos ins Falsett. Und das sind nur einige Sprenkel des knallbunten avantgardistischen Spektakels – ein Dramolett, das sich gewaschen hat und sogar Ohrwurmqualitäten aufweist. Wir können nur erahnen, welchen Spaß Vidi bei den Aufnahmen gehabt haben muß – den durchgeknallten Nosferatu, der ziemlich seltsames Zeug, das im Dunkeln leuchtet, eingeworfen hat, zu geben – Chapeau!

Das zweite Instrumental, „Tropical Limbo„, ist eine Rendition des Concerto für Marimba und Streicher (4. Satz), ursprünglich von Eckhard Kopetzki geschrieben.

Dmitri Alperovic äußert sich hierzu:

„Mit „Tropical Limbo“ wurde für mich ein Traum wahr. Schon ewig hatte ich den Wunsch nach einem Stück, wo ein Schlagzeuger sowohl Schlagzeug als auch Marimba gleichzeitig spielt, und mit dieser Aufführung ging er endlich in Erfüllung.“

Die Komposition ist wie gebacken für SEVENTH STATION, bietet sie doch spannende Wechsel zwischen alleinigen weichen, warmen Marimbaklängen und kräftigen Klavierakkorden, im Prog-Arrangement deftig mit wuchtigen Keyboards und wabernder Gitarre.

„Melodia Sentimental“ (Heitor Villa-Lobos) dürfte die für SEVENTH STATION-Verhältnisse ungewöhnlichste Interpretation sein. Einfach deswegen, weil die Musiker gar nicht erst versucht haben, dem Stück einen eigenen, womöglich auch noch proggigen, Stempel aufzudrücken, sondern die zarte Ballade eine zarte Ballade sein haben lassen. Bemerkenswert auch insofern, da Portugiesisch eine weitere nicht beherrschte Sprache ist und bei Intonation gerne zwei bis zwölf Knoten in der Zunge landen. Der zweite Teil des Songs wird mit höherer, weiblich gelesener Stimme vorgetragen, was sich zum Ende hin in ein Duett abmischen ließ.

„Nagasaki Kisses“ (nach Ralph Vaugn Williams) stellt zum krönenden Abschluß das längste Stück des Albums. Hier sind wir wieder bei sich stilistisch abwechselnden Abschnitten aus cineastisch breiten Prog-Etüden und cartoonesken Passagen mit Retro-Attitüde. Erst gegen Ende lassen japanisch anmutende Klänge eine Referenz zum Songtitel erahnen. Vokalistisch bedient sich Vidi hier dem „Gibberish“, das sich keiner bestimmten Sprache zuordnen läßt, sondern nur Lautmalerei beschreibt – die Stimme als Instrument. Das erinnert an die besten Zeiten der frühen Mr Bungle mit einem fröhlichen Winken von Fantômas, wo, wie wir wissen, Mike Patton federführend gewesen ist und seinen teils zu mainstreamigen Brotjob bei Faith No More gegen die musikalische Gummizelle ausgetauscht hat, in der er sich alle kreativen Freiheiten nehmen konnte. Vergleiche der beiden Vokalisten bleiben nun mal nicht aus, und auch Vidi hat sich mittlerweile einen Namen im Gaming-Sektor und als Filmmusikkomponist gemacht. Wenn wir uns weit aus dem Fenster lehnen, stellen wir einfach in den Raum, daß der Ziehsohn seinem Vater inzwischen über den Kopf gewachsen ist. Ihr könnt euch hierzu sehr gerne eine eigene Meinung bilden.

On Shoulders of Giants ist eine prachtvolle Dokumentation dessen, was passieren kann, wenn grandiose Musiker ihre Talente in einen Topf schmeißen und kräftig umrühren. Auch wenn es diesmal „nur“ Neuinterpretationen anderer Künstler sind und dies neugierig macht, besagte Künstler auf eigene Faust zu erkunden.

Das Album gibt es beispielsweise auf Bandcamp zu erwerben.

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Seventh Station sind:

Dmitri Alperovich – Guitars

Davidavi (Vidi) Dolev – Vocals

Eren Basbug – Keyboards

Alexy Polyansky – Bass

Grega Plamberger – Drums

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