Review: Moonspell Hermitage
Wie kann man als Band noch überraschen, wenn man bald schon 30 Jahre „auf dem Buckel“ hat?! Moonspell gelingt genau das mit ihrem neuen Album Hermitage. Im 13. Werk der portugiesischen Band geht es deutlich ruhiger zu, als was wir sonst so gewöhnt sind. Der Sound von Hermitage ist zwar sorgfältig und multidimensional aufgebaut, doch bekommen Moonspell das Kunststück hin, sehr Band-fokussiert zu wirken. Neu ist auch, dass Moonspell auf eines ihrer typischen Elemente verzichten, nämlich das Crossover zwischen „westlichem“ Metal und „orientalischen“ folklorischen Elementen, wie wir sie vor allem von Alben wie Under Satanae, Exinct und 1755 kennen. In „Hermitage“ haben sich Moonspell von anderen Quellen inspirieren lassen. Tief sitzt der Eindruck der mittlerweile länger als ein Jahr dauernden Pandemie, welche die Künstler*innen massiv in ihrem Schaffen eingeschränkt hat. Diese bedrückende Situation verarbeiten Moonspell in Hermitage: So sagt Frontmann Fernando Ribeiro, dass sie das Gefühl verarbeitet haben, als Künstler im „Winter“ ihrer Schaffensphase angekommen zu sein. Und wirklich, uns läuft beim Hören von Hermitage immer wieder ein kalter Schauer über den Rücken. Gleichzeitig scheint so viel Optimismus – oder vielleicht eher ein freudvolles sich Ergötzen am Untergang ?! – zwischen all den kohlrabenschwarzen Riffs durch. Immerhin haben sich Moonspell mit Hermitage vorgenommen, uns Hörer*innen Trost zu bringen, inmitten der düsteren Realität. Hermitage ist in der Tat zur gleichen Zeit tiefgründig und dunkel und doch verspielt und immer wieder öffnen sich fast euphorische Momente – SKULL NEWS stellt euch das Album hier im Detail vor!
Tracklist: Moonspell Hermitage (26. Februar 2021, Napalm Records)
01 – The Greater Good
02 – Common Prayers
03 – All or Nothing
04 – Hermitage
05 – Entitlement
06 – Solitarian
07 – The Hermit Saints
08 – Apoptheghmata
09 – Without Rule
10 – City Quitter (Outro)
Dann mal los, hören wir ins Album rein! „The Greater Good“ geht ziemlich smooth und gleichzeitig sehr düster ins Ohr. Stark verhallte Gitarren, eine melancholische Stimme, so kennt man Moonspell nicht unbedingt. Aber es klingt gespenstisch schön! Immer wieder drücken Bass und Schlagzeug durch und bringen eine schwermütige Dunkelheit in den Song. „Common Prayers“ startet mit einem sehr groovigen, gebrochenen Drumintro durch, doch der Refrain hat etwas Magisches, in seinen repetitiven Melodien klingt er wie ein musikalisches Ritual… später im Song geben sich die Gitarren und das Schlagzeug einen virtuosen Wettkampf in einem verspielten mehrstimmigen Solo.
Zu Beginn von „All or Nothing“ verführt uns Fernando Ribeiros weiche Stimme noch weiter in den Abgrund zu gehen, die Gitarren, mal sehnend verzerrt, mal perlend und klar, setzen mit einer ebenso gefühlvollen Melodie fort. Dieses Lied zeichnet sich durch lange instrumentale Parts aus, die den Raum für abschweifende Gedanken öffnen. Elegisch und gleichzeitig berauschender Dämmerschlaf…
Dagegen rüttelt uns „Hermitage“ regelrecht wach. Dies ist zwar der Titeltrack, und er hat auch einige sehr epische Momente, doch bleibt er uns weniger im Gehör als andere Songs auf dem gleichnamigen Album. Fast jazzig verspielt mit zitternden Akzenten auf den Becken kommt „Entitlement“ rein. Reverblastige Gitarrenakkorde und kristallklare Leadgitarrentöne, ein dreidimensionales Arrangement erinnern stark an moderneren Surf Rock à la Bambi Molesters bloß mit einem hinreißenden und komplexen Solo-Part. Ein sehr außergewöhnlicher Song von Moonspell! Tolle Genre-Kombination aus Gothic Rock, Progressive Metal, Jazz und Surf Rock, gesanglich geht es eher in Richtung Post-Punk. Auch im folgenden „Solitarian“ hören wir Anleihen an den Sound der Achtziger, spooky Akkorde auf dem Synthesizer und elektronische Beats ergänzen die Rockinstrumente in einer spannungsvollen Atmosphäre, die kein einziges Mal von einer menschlichen Stimme unterbrochen wird. Moonspell gehen hier ganz neue Wege und dieser noch stärkere Fokus auf die Instrumente macht die Songs auf „Hermitage“ abwechslungsreich und interessant. Schön wird auch mit Gegensätzen gespielt, denn „The Hermit Saints“ eröffnet gleich mit mehrstimmigem Gesang der Bandmitglieder in Kombination mit einem Chor, während die Gitarre ein starkes Leadriff abrockt. Anklagend und heiser erhebt sich bald die Stimme von Fernando Ribeiros und zerreißt so den sorgfältig und weich ausgelegten Klangteppich. Doch das ist nicht die einzige Überraschung, die der Track „The Hermit Saints“ für uns bereithält. Moonspell zeigen sich in diesem Lied besonders innovativ – es ist eines der Highlights auf dem Album.
„Apoptheghmata“ hat ein starkes und dramatisches Intro, doch finden wir, dass die Gesangsmelodie in der Strophe zu sehr dem vorigen Lied ähnelt. Mit „Without Rule“ setzen Moonspell einen echten Brocken ans Ende des Albums. In über sieben Minuten spielen Moonspell mit allen erdenklichen Variationen der Grundmelodie sowie mit dem Arrangement der Instrumente, den Effekten auf Stimme und Gitarre, was sie sanft im Faceout auslaufen lassen. Den Abschluss von Hermitage macht ein instrumentales Outro auf dem Klavier, „City Quitter“, mit nicht unbedingt den innovativsten Melodien, doch macht es in seiner dunklen Schwermut die klangliche Klammer des Albums zu.
Mit Hermitage schließen sich Moonspell durch ihre starken Referenzen auf Gothic Rock und Post Punk der Achtziger, sowie dem verspielten Einsatz von Synthesizern einem Trend an, der seit einiger Zeit Einzug in verschiedenen Subgenres im Metal hält. Deutlich ruhiger, doch nicht minder kraftvoll ist das neue Album etwas für Leute, die sich gerne mal in ihren Gedanken verlieren wollen. Hermitage macht die Tür auf zu einer geheimnisvollen, düsteren, aber in ihrer Melancholie erhabenen Klangwelt. Das Album ist vielschichtig symphonisch arrangiert, doch stehen immer wieder die Rockmusikinstrumente im Vordergrund, stimmlich wechseln harsche, reißende Parts mit hymnischen Chorälen und ganz und gar instrumentalen Songs und Songteilen ab. Was besonders hervorsticht, ist die Ausgewogenheit zwischen den Gesangsparts und den Instrumenten, keine Ego-Trips, einfach nur gut durchdachte, emotionale wie intellektuelle Musik. Moonspell gelingt mit Hermitage, eine ganz besonders schöne, finstere und gleichzeitig beflügelte Stimmung zu erzeugen.
Moonspell sind:
Fernando Ribeiro: Gesang
Ricardo Amorim: Gitarre, Backing Vocals
Pedro Paixao: Bass
Hugo Ribeiro: Schlagzeug
Homepage von Moonspell
Fotos von Rui Vasco (C)