Review: AURI – II Those We Don’t Speak Of

Review: AURI – II Those We Don’t Speak Of
Auri sind (von links nach rechts): Tuomas Holopainen, Johanna Kurkela, Troy Donockley

Was machen Musiker*innen erfolgreicher Metalbands in ihrer Freizeit? Genau. Sie gründen neue Bands und starten Seitenprojekte. Doch das „Nebenbei“ von Nightwishs Troy Donockelys und Tuomas Holopainen, dessen in Finnland eher mit Popmusik erfolgreichen Frau Johanna Kurkela, mit dem Namen Auri ist gerade dabei, sich zu etwas Größerem zu entwickeln. Und das, obwohl es bisher ein reines Studioprojekt geblieben ist. Bereits mit ihrem Debütalbum haben Auri einen großen Erfolg auch außerhalb der Nightwish-Fanblase gehabt – denn ihr eigenständiger Mix aus sphärischer, multidimensionaler Musik, die irischen und finnischen Folk mit poppigen Hooklines und mehrschichtigen Arrangements aus der klassischen Musik kombiniert, berührt Fans unterschiedlicher Lager gleichermaßen. Seit dem Erscheinen des selbstbetitelten ersten Albums im Jahre 2018, hängen mir die ikonischen Melodien von „The Space Between“, „I Hope Your World Is Kind“ und „Night 13“ als Ohrwürmer im Gedächtnis. Die mal kindlich verspielte, mal verführerische, mal sehnsuchtsvolle, mal melancholische Stimme Johanna Kurkelas – warm umwoben von Troy Donockleys Bardenstimme – ist eine der großen Stärken dieser neuen Band. Zusammen mit Troy Donockleys unwiderstehlich eingängigen Flöten- und Uilleanpipe-Melodien, dem intelligenten Arrangement der Instrumente und den symbolträchtigen Lyrics aus der Hand Holopainens entstand mit Auri ein ganz besonderes Projekt und alle Fans hofften, dass es nicht bei dem ersten Album bleiben würde. Entsprechend groß war die Begeisterung, als vor einigen Monaten in Interviews und Pressemitteilungen klar wurde, dass es mit Auri weitergeht! Nun ist also ihr zweites Album mit dem Titel „II Those We Don‘t Speak Of“ bei Nuclear Blast veröffentlicht worden. Diesmal ist noch ein weiteres Mitglied von Nightwish dabei: Kai Hahto unterstützt Auri behutsam an der Perkussion. Ein weiterer Gast ist Vangelis the Cat, zuständig für die „Katzenvibes“. Neugierig?! SKULL NEWS stellt euch hier das neue Album „II Those We Don’t Speak Of” von Auri vor:

Auri „II Those We Don’t Speak Of“ bei Nuclear Blast am 3. September 2021 veröffentlicht

Tracklist: Auri “II Those We Don’t Speak Of” (3. September 2021, Napalm Records)

01 – Those We Don’t Speak Of

02 – The Valley

03 – The Duty Of Dust

04 –  Pearl Diving

05 – Kiss The Mountain

06 – Light And Flood

07 – It Takes Me Places

08 – The Long Walk

09 – Scattered To The Four Winds

10 – Fireside Bard

Beim Titellied gibt es keine wirklich erkennbare Hookline, eher ein Feeling, man könnte den ersten Song also eher als ein Intro auffassen. Dieses Bevorzugen von Atmosphäre vor Eingängigkeit trifft, das fällt einem nach dem ersten Anhören auf, auf das gesamte Album zu. Kaum ein Lied bietet eine so markante Melodie an, dass sie sich sofort einprägt. Was gleichzeitig auch einer der Pluspunkte von „II Those We Don’t Speak Of“ ist, denn beim Debütalbum sind zwar alle Refrains schön und einprägsam, aber sie haben auch die leicht unangenehme Eigenschaft, für immer und ewig im Ohr zu bleiben… Was uns beim neuen Album gefällt, ist, dass Johanna Kurkela fast schon böse, dämonische Untertöne neu in ihr Repertoire nimmt. Dieser Kontrast aus süß und verwegen steht ihr gut! „The Valley“ gefällt nicht nur wegen des schönen Intros auf dem Aerophone, gespielt von Troy Donockley. Sondern auch das von Tuomas Holopainen geschickt aufgestellte Arrangement besticht: Im Vordergrund Johannas zärtliche, ausdrucksstarke Gesangsstimme, zu Beginn nur begleitet von luftigen Klaviernoten und atmosphärischen Synthesizerklängen. Die anderen Instrumente kommen genauso bedacht hereingeschlichen, wie die Story im Lied von einem bedachten Spaziergang im Wald erzählt. Die Perkussion ist sehr sanft und stumpf abgemischt, weckt Klangassoziationen wie dumpfe Fußstapfen auf federndem, moosigem Waldboden. Betörend ist die diskrete, doch eingängige Refrainmelodie, vielleicht diejenige, die vom Album am meisten in Erinnerung bleibt. „The Valley“ sticht aus der Gesamtheit hervor, es hat zwar eine der griffigsten Hooklines. Diese wird jedoch sanft ins Gedächtnis gepflanzt und ist weniger repetitiv als die Pendants auf dem ersten Album der Gruppe.

Auri „The Valley“

„The Duty Of Dust“ greift ein musikalisches Lieblingsmotiv Holopainens auf: Kinderliedmelodien, auf dem Keyboard eine Spieldose nachahmend gespielt. Die sprachlichen Bilder und Klangatmosphäre reflektieren Erinnerungen – wie Kleinode in einer Schatzkiste, zum späteren Wiedernachempfinden, gute wie schlechte. Wieder kommt vor allem das hervorragende Arrangement von Johanna Kurkelas Erzählerinnenstimme und Troy Donockleys warmer, dunkler, teils fast bedrohlicher Stimme, die Dopplung von Streichern durch Keyboard und einem echten Streicherensemble im Hintergrund, der bewusste Einsatz von Halleffekten und Stimmdopplungen, zum Tragen und erzeugen Komplexität. Troys Hauptinstrument, die Uilleanpipe, integriert sich mit wesentlich mehr Feinhefühl in den Klangteppich des Albums, als beim früheren Langspieler von Auri. „The Duty Of Dust“ ist berührend zart geschrieben und doch eindringlich.

Auri „Pearl Diving“

„Pearl Diving“ war schon beim ersten Anhören ebenfalls einer der Favoriten. Ein euphorischer Kinderchor reißt uns aus der zuvor aufgebauten Melancholie. Insgesamt hat „Pearl Diving“ ein aufstrebendes Feeling, obwohl es im Songtext starke Bilder von Abgründen, vom Hinabsteigen, vom Begegnen mit Ängsten, Loslassen, Suchen und Finden geht. Und darum eigentlich von eher respekteinflößenden Lebenserfahrungen spricht – ja, Tuomas Holopainen, der hinter den Lyrics steht, lässt individuelle Erkenntnisse zwischen all die Naturbeschreibungen einfließen, was noch einmal einen spannenden Kontrast zu der sehr jung klingenden Stimme Johannas erzeugt. Vielleicht ist dadurch der allgemeine Ton von „II Those We Don’t Speak Of“ etwas zu bedeutungsschwanger aufgeladen, zu „erwachsen“, für jüngere Hörer*innen? Wie kann man sich als 20 oder 30-Jährige*r (oder jünger) mit dem Ich in den Songs identifizieren? Dies trifft auch auf „The Long Walk“ zu, welches tiefgründig von Erinnerungen, vom Rekapitulieren des eigenen Lebens, handelt. Ich persönlich finde es zu schwermütig und „alt“, um es von einer so jungen Person wie Johanna Kurkela (Jahrgang 1985) singen zu lassen. Diese Rückschau auf die (eigene) Kindheit, das Reifen der Persönlichkeit, der Versuch, die Menschheitsgeschichte in Musik abzubilden, den Platz des Menschen im Universum und die Beziehung zur Natur ergründen, der Stellenwert von Kultur, Religion und Wissenschaft, das sind bereits Themen, mit denen sich Tuomas Holopainen bei Nightwish gerne beschäftigt, spätestens seit dem Album Endless Forms Most Beautiful. Doch in deren Songtexten lässt er doch meistens ein lyrisches Ich außen vor, sodass sich jede*r angesprochen fühlen kann, Kinder wie ältere Menschen, man denke nur an das gemeinschaftstiftende „We were here!“ am Ende vom gesungene Teil von „The Greatest Show On Earth“. Doch nun zu etwas Positiven. „Light And Flood“ ist ein echter Schatz. Greifen Auri hier auf, was Tuomas Holopainen für das aktuelle Nightwish Album HVMAN :II: NATVRE mit dem zweiten Teil begonnen hat, nämlich mehr in das rein instrumentale Songwriting zu gehen? „Light And Flood“ ist eine knapp sieben Minuten lange rein über die Instrumente erzählte Geschichte. Auf spannende Weise entwickeln sich die verschiedenen Klangmotive. Wie alle Lieder auf dem Album ist auch dieses sehr vielschichtig arrangiert, doch durch den Fokus auf die Instrumente kann man sich auf diese einlassen und bei jedem Hören immer wieder neue Details entdecken. Es zieht einen immer wieder in seinen Bann! „It Takes Me Places“ kontrastiert in den Strophen akzentuierte, wohl platzierte Silben mit einem hymnischen und einprägsamen Refrain. Wenn man eine gezerrte E-Gitarre und bassbetontes Schlagzeug darunterlegen könnte, wäre es ein typisches Lied von Nightwish aus Imaginaerium Zeiten. Auch die Story vom Entdecken einer verzauberten Welt „dahinter“ (man denke nur an „Pan“ vom aktuellen Album) würde zum Topos-Repertoire der Hauptband passen. Vielleicht kann man sich deshalb als langjähriger Nightwish-Fan dem Charme dieses Liedes nicht widersetzen.

Auri „Kiss The Mountain“

„Scattered To The Four Winds” packt mich sofort mit seinem sehnsuchtsvollen, melancholischen Streicher- und Flötenintro, dem an ein Herz erinnernden schweren Bassschlag im Hintergrund. Die sich perfekt ergänzenden Stimmen von Troy und Johanna, die so schwerelos wie der besungene Schmetterlingsatem in der Luft hängen. Schön wechseln sich das nostalgische Uilleanpipe-Solo und das epische Streicherensemble ab. Für den abschließenden Song „Fireside Bard“ überrascht uns Troy Donockley mit ungeahnt tiefen Stimmlagen. Das ganze Album habe ich bis dahin gefiebert, wann er endlich einen längeren Gesangspart bekommt! Endlich! Auri lassen ihr Album mit dem gleichen gemütlichen Lagerfeuer-Soundsample ausklingen, mit dem „The Valley“ beginnt … der Kreis schließt sich.

„II Those We Don’t Speak Of“ verbindet wie der Vorgänger mit Fingerspitzengefühl unterschiedliche Musiktraditionen und moderne klassische Musik. Das Album bringt eine gewisse Dunkelheit aus der Banderfahrung mit Nightwish ein, liebäugelt mit Popmusik, akustische Instrumente verbinden sich mit elektronischen Elementen. Besonders überzeugend kommt die bessere Integration der klanglich eigentlich relativ dominanten Pipes im neuen Werk von Auri herüber. So entsteht ein eigenwilliger, doch gefälliger Mix, der komplex arrangierte Klanglandschaften erschafft. Bildgewaltig sind auch die Songtexte, in denen die Naturmetaphern aus der Feder Tuomas Holopainens gewohnt ausdrucksstark und sehnsuchtserzeugend sind. Die Symbolik trägt jedoch, wie gesagt, in manchen Liedern zu viel persönliche Lebenserfahrungen, mit welchen man sich vielleicht nicht identifizieren kann. In diesen Songs kann man sich vielleicht einfach auf die schöne Darbietung konzentrieren, denn Auri gelingt mit ihrem neuen Album, und das kann nicht oft genug betont werden, ein musikalisches Kleinod, welches zum Verweilen einlädt. Wie schön, dass das – bisher leider ausschließlich – Studioprojekt Auri von Tuomas Holopainen, Johanna Kurkela und Troy Donockley keine Eintagsfliege geblieben ist und dass ihre Musik mit dem neuen Album noch einmal an Tiefe gewonnen hat. Man hört klar gewisse Bezüge und Wechselwirkungen von und auf Nightwish und Johannas Erfahrungen als Popsängerin, jedoch bringen Johanna, Troy und Tuomas in Auri noch einmal ganz andere Stilelemente hervor und ihr Album „II Those We Don’t Speak Of” hat mich bereits nach dem zweiten Anhören verzaubert.

Informationen zu Auri, sowie Musik, Merchandise und mehr auf ihrer Seite auf Nuclear Blast.

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