HEAVY METAL MADE IN GERMANY – Ausstellung der Studierenden in Deutsch der Universität von Burgund

HEAVY METAL MADE IN GERMANY – Ausstellung der Studierenden in Deutsch der Universität von Burgund
Neugierige Besucher:innen der Eröffnung lauschen Dr. Lise Philippe’s Vortrag

Heavy Metal als Unterrichtsfach?! Richtig gelesen! An der Universität von Burgund in Dijon, Frankreich haben sich sechzehn mutige Studierende ein Semester lang mit dem Thema beschäftigt. Die meisten von ihnen haben zuvor noch nie Metal gehört, kannten wenn es hochkommt, ein Lied von Rammstein. Da es eine gemischte Seminargruppe aus den Fächern Deutsch, Englisch, Musikwissenschaften, Geografie, Geschichte und Kunstgeschichte war, dachte ich mir, dass gerade bei der Analyse des Metal all diese Kompetenzen sinnvoll eingesetzt werden könnten. Und so schubste ich meine Studierenden ins kalte Wasser – natürlich mit dem nötigen Rüstzeug ausgestattet – und sie erarbeiteten eine kleine Ausstellung zum Thema “Heavy Metal Made In Germany”.

Ausschnitte aus den Postern der Ausstellung “Heavy Metal Made In Germany” der Studierenden der Universität von Burgund

Auf acht Postern zeigen die Studierenden, dass in Heavy Metal mehr steckt als Krach und Lärm. Sie erklären die Bezüge auf Motive der romantischen deutschen Dichtung und Malerei im Black Metal (wie Waldgeflüster), auf Märchen (Musik von Snow White Blood, Hämatom), sowie reale historische Ereignisse, was man vor allem bei der Mittelalterrock/ Metalszene von Bands wie Subway to Sally, Schandmaul oder Feuerschwanz kennt. Eine Gruppe nahm sich des sensiblen Themas NS-Vergangenheit an und brachte erstaunliche Parallelen und zwischen Songs von Hämatom, Rammstein und Arch Enemy zur Sprache. Eine andere Gruppe untersuchte den Einfluss berühmter deutscher und österreichischer klassischer Komponisten auf den Symphonic Metal, der sich sehr an den Werken von Beethoven, Bach, Wagner und Léhar orientiert. Selbst eingefleischte Metal-Geeks können also Dank der großartigen Arbeit unserer Studierenden noch etwas Überraschendes dazulernen!

Beethoven Meme

Die Ausstellung ist aktuell in der Mediathek der Geisteswissenschaftlichen Fakultät zu sehen und wurde am 23. Januar 2023 feierlich eröffnet. Für die Vernissage konnten wir Dr. Lise Philippe für einen Eröffnungsvortrag mit dem Titel « Entre amour et condamnation – le metal et l’identité nationale, une relation (complexe et) multiforme » einladen, in welchem sie die Entstehung typisch deutschen Metals, in Form von Powermetal und Neue Deutsche Härte, erläuterte – und wie in dieser Musik deutsche kulturelle und nationale Identität konstruiert wird.

Schmutzige Männer mit langen Haaren, kreischende Gitarren und wummerndes Schlagzeug. Satanistische Texte vorgetragen mit grausiger Stimme. So oder so ähnlich lauten die schlimmsten Vorurteile über die Subkultur des Heavy Metal. Dass dieses Etikett „Heavy Metal“ weit mehr als das bedeutet und ein ganzes Bündel an höchst unterschiedlichen Subgenres recht bedenkenlos zusammenfasst, das haben meine Studierenden im dritten Bachelorjahr im Kurs Compréhension Allemand im letzten Semester entdecken können.

Heavy Metal entwickelte sich zuerst in Großbritannien und in den USA Ende der 60er Jahre als Gegenbewegung zu „Peace and Love“ der Hippie-Bewegung, als Reaktion auf die Deindustrialisierung und als Ventil für die Frustration der jüngeren Menschen über die steigende Arbeitslosigkeit. Musikalisch hat Heavy Metal diverse Wurzeln, doch ursächlich geht er auf den Bluesrock zurück, von dem der frühe Heavy Metal zunächst das starre Blues-Akkordschema übernahm, dieses dann aber sprengte mit stark verzerrten Gitarren, dem „diabolischen“ Tritonus und gefühlt dreimal so viel Schlagkraft. Doch bald schon entwickelte sich der klassische Thrash Metal der Arbeiterschicht, welcher ein wunderbarer Moment der Katharsis darstellt, weiter zu einem regelrechten Regenbogen in schwarz/grau – man will sich ja vom knallbunten Pop absetzen – an Subgenres: Über den Genderstereotype sprengenden Glam Metal, hin zur Rückbesinnung auf frühe Kulturformen, alte Legenden und Instrumente im Folk Metal.

Quelle: www.everynoise.com

Im Gegensatz dazu entwickelte sich der jazzige, experimentale Progressive Metal und der hochintellektuelle Symphonic und Opera Metal, und mittlerweile gibt es auch A capella Metal Chöre, reinen Sprechgesang, und sogar Kawaii Metal, bei dem zwanglos japanischer Idol Pop einbezogen wird sowie Metalbands für Kinder, siehe die finnische Band Hevisaurus, die in Dinosaurierkostümen auftreten. Heavy Metal ist zu einem die Jahrzehnte und Modetrends der Popkultur überstehenden, weltweiten Phänomen geworden, eine wahre Subkultur und keine „jugendliche Phase“ mehr, sondern eine identitätsstiftende Lebensphilosophie. So global einige Merkmale dieser Subkultur sind, so individuell sind dennoch ihre Akteure und Akteurinnen und so spezifisch die jeweiligen Ausprägungen der Metalkultur in den jeweiligen Ländern. Gerade durch sein Charaktermerkmal der Oszillation zwischen den Extremen wird Heavy Metal in all seinen Subgenres zum idealen „Ort“, um komplexe Themen wie nationale und kulturelle Identität zu diskutieren und zu konstruieren.

Die Ausstellung “Heavy Metal Made In Germany” ist in der Mediathek der Geisteswissenschaften zugänglich.

Deutschland ist nach wie vor einer der größten Märkte für die Musikindustrie weltweit, vor allem für Rock und Metal. Viele wichtige Plattenfirmen sind in Deutschland beheimatet, eine Vielzahl an Bands unterschiedlichster Metal Subgenres sind weltweit erfolgreich, manche von ihnen tragen sogar die deutsche Sprache, Aspekte der deutschen Kultur und Geschichte in die Welt. Doch wie genau diskutiert und konstruiert man in der Subkultur des Heavy Metal eine kulturelle und nationale Identität? Und warum beschäftigt man sich in einem Universitätsseminar damit? Dass Heavy Metal auch auf die “Mainstream”-Gesellschaft einen Einfluss hat und daher mindestens aus soziologischer Sicht ein interessantes Thema ist, zeigen diese Memes:

Diese Memes funktionieren, weil auch Nicht-Metal-Fans trotzdem genügend Vorwissen über Heavy Metal besitzen, um die Referenzen zu verstehen. Dies zeigt, wie viel von der ehemaligen Subkultur mittlerweile in der Mainstreamkultur adaptiert ist, man denke hier auch an die vierte Staffel von Stranger Things (Netflix), die die Zusammenhänge zwischen der Gamerszene und Metalszene der 80er Jahre schön thematisiert.

“Herr der Ringe”, “Dungeons & Dragons” und Metal sind von Anfang an verbunden.

Heavy Metal ist bereits seit mindestens sieben Jahren außerdem Gegenstand akademischer Forschung geworden, wie zum Beispiel auf den Modern Heavy Metal Conferences in Espoo, Finnland, von 2015 bis 2020. Alle zwei Jahre findet die Konferenz der International Society for Metal Music Studies statt. 2022 wurde die Heavy Metal & Global Premodernity Online Conference abgehalten. Und im Dezember 2022 legte Lise Philippe den Grundstein für die sogenannten Metal Studies in Frankreich, als sie an der Universität Caen ihre Doktorarbeit zum Thema „„Un pays né dans le chaos“ : Constructions de finlandité dans le metal finlandais en tant que genre musical de 1990 à 2020“ verteidigte. Heavy Metal ist also in der “Hochkultur” angekommen!

Dr. Lise Philippe beendete ihren hervorragenden Vortrag mit folgenden Worten:

“Pour conclure, j’espère que ce bref exposé vous aura donné envie de passer outre les sonorités agressives et les provocations du metal pour vous plonger dans la découverte des travaux des étudiants et étudiantes de Madame Hammon. Mon but était, au travers de la présentation de deux sous-genres, de vous faire comprendre comment les artistes de cette scène peuvent contribuer à faire évoluer les identités culturelles ou nationales et en quoi la scène allemande que je n’ai qu’à peine effleurée ici est aussi riche que fascinante. Enfin, à mon humble avis de docteure ayant travaillé sur la musique et de fan de musique populaire attirée par les langues chantées par ses artistes favoris, je ne pourrai jamais trop insister sur l’intérêt de découvrir un pays, une langue ou une culture par sa culture populaire. Celle-ci a, à mon sens, un rôle de miroir ou bien de photographie ô combien éclairante sur une période et un groupe social donnés.”

Sie erklärt, dass man die Aggressionen, die Provokationen, den Lärm beiseiteschieben soll und sich auf die gesellschaftliche und kulturelle Relevanz von Heavy Metal einlassen soll. Am Beispiel der deutschen und der finnischen Gesellschaften wolle sie zeigen, dass diese Subkultur maßgeblich die kulturelle und nationale Identität mitgestaltet. Heute kennt jeder Deutsche Rammstein und die wichtigsten Festivals wenigstens beim Namen, auch wenn sie selbst nie auf einem Konzert oder Festivals waren. Und außerhalb Deutschlands konnte man zur Jahrtausendwende, als Bands wie Rammstein, Eisbrecher und Oomph international erfolgreich wurden, die Zahl der Deutschlerner an Schulen sprunghaft anstiegen. Es sind diese Bands des Metal, die einem einen – andersartigen – erleuchtenden Einblick in die Kultur einer Epoche eines Landes geben können. Wenn man ein Land wirklich kennenlernen will, so Lise, sollte man sich unbedingt auch mit dessen Subkulturen auseinandersetzen!

Vielen Dank an meine Studierenden für ihre sehr gute Arbeit und ihre Neugier, Danke an die Finanzierung durch den DAAD und die Mediathek, die uns ihre Wände und ihre Hilfe für den Aufbau der Ausstellung anboten. Wir bedanken uns herzlich bei Dr. Lise Philippe für ihren schönen Vortrag und bei meinem Mann Felix für das coole Plakat!

Hi! Ich bin Jasmin und liebe Musik, vor allem alles im Bereich Rock (Metal, Punk, Rock'n'Roll) und Folk. Von mir gibt's Reviews und Interviews (deutsch und englisch). Newcomer Bands können mich gerne für Rezensionen kontaktieren. Hi! I am Jasmin and I love music, especially rock (metal, punk, rock'n'roll) and folk. I do reviews and interview (german and english). Newcomer bands are invited to contact me for reviews!

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