Review: Waldgeflüster Stimmen im Wind
Vor wenigen Tagen hat die in Bayern ansässige Blackmetal Band Waldgeflüster ihr Album Stimmen im Wind herausgebracht – nicht etwa neues Material nur kurz nach Veröffentlichung des von Kritikern und Fans gelobten Albums Mondscheinsonaten (2019). Nein, es handelt sich bei Stimmen im Wind um eine komplett neu aufgenommene Version ihres Demotapes von 2006. Es sind also diesselben Lieder, an der Komposition hat sich nicht viel geändert. Aber die 2020-er Version besticht durch ihre perfekte Soundqualität und dem Fakt, dass alle Instrumente von den mittlerweile Bandmitgliedern im Plural eingespielt wurden. So war 2005 Waldgeflüster von nur einem einzigen Herren gegründet worden, und zwar von Jan van Berlekom alias Winterherz, der für das in nur einer kleinen Auflage von circa 150 Kassetten veröffentlichten Demo-Album alles selbst gemacht hat. Gesang, Gitarre, Bass und Drumcomputer. Dieser technische Anachronismus kam damals bei Irminsul Records raus und wurde in den Online-Medien sehr positiv bewertet und der Weg war geebnet für größere Veröffentlichungen. So erschien 2009 das erste richtige Studioalbum Herbstklagen (bei Black Blood), das auch den Stil von Waldgeflüster prägte: Nachtschwarze melancholische Musik, majestätische Melodien getragen von rauschenden Gitarrentremolos und treibenden Blast Beats und Double Bass. Textmäßig geht es meist um Themen rund um die Natur und germanische Mythologie. Waldgeflüster unterscheidet sich damit bewusst von anderen Strömungen des Blackmetal, weil sie sich zum Beispiel nicht mit Satanismus beschäftigen. Die Spiritualität und der Respekt vor der Natur stehen im Vordergrund. So ist eben das Album Herbstklagen ein Konzeptalbum, in welchem die Band diverse Stimmungen, die der Herbst auslösen kann, musikalisch und in den Lyrics ausdrückt. Da Waldgeflüster einige folkloristische Passagen und Instrumente einbauen, werden sie gerne auch dem Pagan Metal zugeordent. 2011 kam das Album Femundsmarka bei Black Blood raus, das ebenfalls großes Lob von der Fachpresse und dem Publikum bekam. Femundsmarka ist ebenso ein Konzeptalbum und beschreibt die Reise nach Norwegen, die Winterherz mit seinem Bruder unternommen hat. Es folgen immer mehr Live-Auftritte und die Alben Meine Fesseln (2014), Ruinen (2016, Nordvis) und Mondscheinsonaten (2019, Nordvis). Seit dem Summer Breeze Festival 2014 besteht Waldgeflüster auch live aus mehr als einer Person. Das neuaufgelegte Demo-Album Stimmen im Wind wurde von Thomas Birkmaier (Schlagzeug), Dominik Frank (Gitarre), Markus Frey (Gitarre), Avagr (Bass) und natürlich Winterherz (Gesang) aufgenommen und Skull News durfte vorab einmal reinhören!
Waldgeflüster Album Stimmen im Wind (2020) Tracklist
01 – Morgendämmerung
02 – Waldgeflüster
03 – Vintersjäl
04 – Wotan sang
05 – Wenn die Bäume
06 – Abenddämmerung
Der Opener „Morgendämmerung“ beginnt mit Pickings auf der akustischen Gitarre, eben jenen Folklore-Einflüssen, die seit der Demo zum Rezept von Waldgeflüster gehören. Schnell geht es aber in ein gewaltiges schwarzes Tosen über: tiefe satte E-Gitarrentremolos und treibendes Schlagzeug. Im Vergleich zur Demo-Version, auf der Winterherz das Schlagzeug noch mithilfe eines Drumcomputers aufnahm, ist es ein Hochgenuss, die komplexen Schlagzeugpatterns auf dem realen Instrument in der 2020er-Version zu hören. Winterherz‚ Stimme erklingt alsbald gespenstisch, böse, kratzend, schreiend, flüsternd; er ist ganz klar ein Künstler im gutturalen Gesang. Zur Hälfte des Lieds jedoch verlangsamt sich das Tempo und Winterherz spricht nur noch. Dazu sphärische tiefe Synthesizer-Klänge und ein Schwirren im Hintergrund. Bald schon hört man eine Geisterstimme sagen „erwachet in Todesnacht!“ und das laute Brausen setzt wieder ein. Die Morgendämmerung im Titel des Liedes klingt jedenfalls gewaltig.
Der namensgebende Track „Waldgeflüster“ ist der längste auf dem Album und fasst in 10:16 zusammen, was die Band bis heute ausmacht: majestätische tremolierte Gitarrenmelodien, gewaltige Klangwelten so finster wie die Nacht, durchbrochen durch ruhige, fast zarte akustische Parts. Es sind wirklich abwechslungsreiche Liedstrukturen, die auch durch die Sangeskünste gestaltet werden, so wird Waldgeflüster dann besonders erhaben, wenn Winterherz zu epischen, hymnischen Refrains anstimmt. „Lausche dem Waldgeflüster“ durchzieht das Lied und sorgt bei aller Abwechslung dafür, dass es sich ins Gedächtnis als der stärkste Song auf dem Album eingräbt. Waldgeflüster wissen gekonnt auch instrumental Ruhephasen einzusetzen, nur um umso lauter und breiter zurückzukommen. Es lohnt sich außerdem mal ein Blick in die Lyrics – die man zugegebenermaßen wegen des genretypischen Gesangs manchmal nicht versteht. In schönen schwarz-romantischen Zeilen huldigt man den Naturphänomenen und bespricht so nebenbei das Menschsein an sich:
„Sturm — Seelenschwanger
knochige Äste ächzen in Hass
Wiederhall meines Zorns
lockende Versuchung sich hinzugeben
Zaghaftes Flüstern schleicht durch diesen Ort
Seele der knöchernen Äste
Rufe aus meinen Wäldern
schreien leise in Hass
Lausche dem Waldgeflüster
Fühle das Waldgeflüster
Lerne das Waldgeflüster
Vergehe im Waldgeflüster
Waldgeflüster schreit in Schmerzen“ – endet das Lied „Waldgeflüster“
Der dritte Song heißt „Vintersjäl“, ein schwedischer Titel (auf Deutsch „Winterseele“), ist es eine Hommage an den originalen skandinavischen Blackmetal? Er ist der zweitkürzeste Track des Albums mit nur fünfeinhalb Minuten. Er startet ruhig, mit den zwei Gitarren im Unisono und einem langsam reinlaufenden Schlagzeug. Winterherz‚ Growl setzt dann für eine getragene, melancholische Strophe ein. Das Lied nimmt aber schon zur Mitte mehr Fahrt auf und erweckt Vorstellungen von einem tobenden Schneesturm. Waldgeflüster schafft es immer, die starken Bilder von Natur und Emotionen in den Lyrics und in ihrer Musik umzusetzen.
Das vierte Lied, „Wotan sang“, widmen Waldgeflüster dem germanischen Göttervater Wotan, der auch Gott des Kriegs und des Todes ist, entsprechend gewaltig kommt der Song. Er ist der zweitlängste und bleibt dabei stets spannend. „Stolz, Mut, gerechte Ehre!“ tönen die Jungs in der Mitte des Lieds, passend zum Bild des Germanengottes. Insgesamt spielt man bei der Neuauflage des Albums akustisch schön mit Nähe und Ferne, mit der Lautstärke der Stimme(n) im Vergleich zu den Instrumenten, wodurch eine enorme Dreidimensionalität entsteht.
„Wenn die Bäume“ wird eingeleitet durch die hastige Ansage „Willkommen in meinen Winterwäldern“, was eher diabolisch als einladend klingt. Besungen wird in diesem vierten Lied der Wandel des Waldes im Laufe der Jahreszeiten. Wenn dann Winterherz singt „Wenn das Laub auf dem frostigen Boden verrottet“, sieht man förmlich den Winterwald vor dem inneren Auge. Wenn nach Waldgeflüster-typischen dröhnenden Passagen wieder ruhigere Melodien mit akustischem Picking erklingen, dann hört man fast den klirrenden Frost in einem sonst stillen Winterwald.
Diese Stimmung wird fortgesetzt im abschließenden komplett instrumentalen Lied, das auch vom Titel her die Klammer zumacht. „Abenddämmerung“ beendet ein in sich stimmiges, meisterlich schwarzes Album. Deutscher Black/Pagan Metal vom Feinsten.
Für unsere Review hatten wir leider nicht die originale Version vorliegen, aber in der Vinyl-Version ist diese für die interessierten Hörer mit enthalten. Ein netter YouTuber hat die Originalversion des Lieds „Waldgeflüster“ geteilt:
Eine herrlich krachige authentische Kassettenaufnahme, dennoch ist die Songstruktur da schon schön erkennbar. So auch das Talent der Herrn Winterherz! Rückblickend, die tadellose Soundqualität der Neuauflage genießend, freut man sich beim Hören des Originals, dass das Projekt damals überzeugen konnte und Waldgeflüster nicht nur weiter machten, sondern wuchsen, und mittlerweile eine feste Größe im deutschen Black/Pagan Metal geworden sind.
Kommende Konzerte:
24.01.2020 Barfusz-Club, Leipzig, Deutschland
22.02.2020 Helvete, Oberhausen, Deutschland
06.06.2020 Skaldenfest, Würzburg, Deutschland
Zur Homepage der Band Waldgeflüster.
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