Review Humavoid Lidless

Die aus Espoo in Finnland stammende junge Progressive Agressive Metal Band Humavoid bringt im August ist zweites Album Lidless bei Noble Demon raus. Sie sagen selber über sich, dass Meshuggah und Jinjer ihre größten Vorbilder sind, was man in ihrem Groove betonten Metal geprägt von wilden Rhythmus- und Dynamikwechseln hört. Zu extrem heavy Gitarrenriffs, tiefenlastigen Basslicks und virtuosem Schlagzeug kombinieren Humavoid jazzige Keyboard – und Pianomelodien – kein Wunder, hat sich auch der Kern der Band, Suvimarja Halmetoja (Gesang, Keys) und Niko Kalliojärvi (Gitarre, Gesang) während des Studiums am Helsinki Pop & Jazz Konservatorium kennengelernt. Später kamen nach ein paar Wechseln noch Mikki Rousi (Bass) und Heikki Malmberg (Schlagzeug) dazu, was die aktuelle Besetzung der Band darstellt. Für das kommende Album Lidless erhalten sie noch Unterstützung vom international bekannten finnischen Jazzpianisten Iiro Rantala, welchen dem ungewöhnlichen Sound von Humavoid den letzten Schliff verpasst. Wie das neue Werk klingt, stellt euch hier SKULL NEWS vor.

Tracklist: Humavoid Lidless (21. August 2020, Noble Demon)
01 – Fortune For Demise
02 – Lidless
03 – Aluminum Rain (feat. Iiro Rantala)
04 – Inside 1
05 – Matter
06 – What You Hide
07 – Inside 2
08 – The Breathing Method
09 – Undercurrent
10 – Drywall Cracks
„Fortune For Demise“ geht gleich ordentlich heavy los. Ein stolpernder Beat und gegenläufige Melodien auf dem Keyboard machen ihn schwer zu fassen und doch interessant. Die raschen Rhythmuswechsel gibt Drummer Heikki Malmberg meisterhaft vor und es wird gleich klar, dass das Album eine Herausforderung für unsere Ohren sein wird! Mit ihren frontal rausgeschleuderten Screams markiert Powerfrau Suvimarja Halmetoja sofort das Revier, dass sie das Sagen hat. Unterstützt wird sie vom Responsegesang durch die Jungs, was einen dramatischen Effekt hat. „Fortune For Demise“ ist ein energiegeladener Start ins Album, anstachelnd und aufrüttelnd. Track Nummer zwei ist der Titelsong des Albums, “Lidless”. Über dieses Lied sagen Humavoid, dass er ihre Frustration über Leute ausdrückt, die andere immer nur ausnutzen. Man könne niemandem trauen, vielleicht nicht einmal seinen eigenen Sinnen. Der Titel bezieht sich sicher auf die sprichwörtlichen betrügerischen Schlangen, die zu den Tierarten ohne Augenlider gehören, eine Eigenschaft, die den Menschen von jeher unheimlich ist. Man denke auch an die vielen Märchen, Legenden und natürlich die Geschichte vom Sündenfall in der Bibel, in denen die Schlange Menschen zu Freveltaten verführt oder verrät. Vielleicht ist dies die intendierte Anspielung im Songtitel. „Lidless“ ist die zweite Single und wurde gerade mit einem kunstvollen Musikvideo veröffentlicht, welches diese Thematik sehr ästhetisch umsetzt: Es erscheinen verschiedene Fantasiewesen mit schuppigen Masken, farbigen Kontaktlinsen, sie haben etwas Reptilienhaftes. Humavoid legen also auch großen Wert auf die visuelle Präsentation ihrer Message, denn das Video ist sehr ausdrucksstark und künstlerisch. Auch musikalisch ist „Lidless“ einer der zugänglichsten Tracks auf dem gleichnamigen Album. Es war also eine gute Entscheidung diesen als Single zu veröffentlichen.
Darauf folgt “Aluminum Rain (feat. Iiro Rantala)”, das eine geniale Mischung aus bretthartem Bass und Schlagzeug betontem Metal, mit aggressiven Screams und trotzdem starker Melancholie in den Keyboard-Melodien ist. Das erzeugt eine krasse Spannung, besonders als das virtuose jazzige Klaviersolo in der Mitte des Songs, gespielt vom berühmten finnischen Jazzpianisten Iiro Rantala, einsetzt. Rantala verstärkt im Zusammenspiel mit der Band so noch einmal die hochkomplexen Rhythmisierungen und die Humavoid typischen ungewöhnlichen Harmonien. SKULL NEWS muss hier noch einmal betonen, wie mühelos Suvimarja Halmetoja von Klargesang zu rauhen Vocals wechselt, das ist einfach faszinierend! Ihre Stimme ist eine wahre Naturgewalt! Bei all der jazzigen Variationen im Lied bleibt „Aluminum Rain“ wegen der wiedererkennbaren durchlaufenden Klavier- und Keyboardriffs und durch seine Headbang-animierende Schwere sehr zugänglich. Humavoid haben ganz klar die griffigsten Songs als Singles ausgesucht. „Lidless“ und „Aluminum Rain“ schaffen das Kunststück, die musikalische Vielfalt von Humavoid zur Geltung zu bringen, und doch bleiben sie durch ihre Eingängigkeit von allen Songs am meisten im Gedächtnis. Dazu tragen auch die markanten im wehmütigen Klargesang präsentierten Strophenmelodien bei.
Das Musikvideo dieser ersten Single ist ebenfalls ein echter Augenschmaus:
Nach diesem nervösen, aufreibenden Song lässt uns ein kurzes, sanftes, instrumentales Zwischenspiel namens „Inside 1“ falsche Hoffnungen haben. Wir erholen uns zu zarten Klaviertönen, doch im Hintergrund droht bereits Unheil. Ein fesselnder Übergang zum nächsten Lied, „Matter“. Dieses setzt die getragene, traurige Klaviermelodie fort, gegen die die Rhythmusfraktion der Band hektisch stotternd gegenhält. Humavoid lieben pointierte Gegensätze! Insgesamt gibt es in „Matter“ geniale Tempo- und Rhythmuswechsel: So laufen die Instrumente und Stimmen mal auseinander, dann wieder zusammen. Die Leadmelodie vom Intro zieht sich durch den Song und gibt ihm Halt. Mittendrin konkurriert ein geniales Schlagzeugsolo von Heikki Malmberg mit einer starken Klaviermelodie gespielt von Suvimarja Halmetoja. Bei Humavoid kommen wahrlich alle Bandmitglieder durch irre Soli und intensive Momente voll zur Geltung, ohne dass das Progressive zum Selbstzweck verkommt. Immer wieder kehren sie nach all den atemraubenden Variationen zur Kernidee des Lieds zurück. Dennoch ist „Matter“ weniger eingängig als die beiden Singles, aber musikalisch und kompositorisch für uns der interessanteste Song auf dem Album Lidless. In „What You Hide“ sind die Vocals so verblüffend vielfältig eingesetzt, dass man nur staunen kann, was Suvimarja Halmetoja aus ihrem Kehlkopf und ihren Lungen rausholt. Sie singt hier in den Strophen in ihrer Klarstimme, die sie sehr expressiv einsetzt. Dazu kontrastieren schön die dunklen Growls von Gitarrist Niko Kalliojärvi, Humavoid reizen also nicht nur ihre Instrumente maximal aus. Die Gesangsmelodien sind langgezogen und dramatisch, pulsierend setzen die Instrumente dagegen. „Inside 2“ ist ein erneutes instrumentales Klavierzwischenspiel und baut eine Drohkulisse, bevor es groovig in „The Breathing Method“ weitergeht. Dieser Song geht so rasant ab, dass einem beim Zuhören die Luft wegbleibt. In diesem Song stechen das brillante Basssolo von Mikki Rousi heraus, sowie das furiose Gitarrensolo von Niko Kalliojärvi. Hier kommen Humavoid Fans von klassischerem Heavy Metal einen kleinen Schritt entgegen, doch sofort folgt ein für die Band typisches Jazzintermezzo auf Keyboard und Schlagzeug. Kurz vor Schluss ziehen die Finnen noch einmal gehörig das Tempo mit einem aufstachelnden Call- and-Response-Gesang an und lassen das Lied mit einem wahnsinnigen Moment des Ausflippens eskalieren. „The Breathing Moment“ lässt einen ganz schön atemlos zurück. Danach kommt „Undercurrent“, wo Niko Kalliojärvi growlen darf und Suvimarja Halmetoja ihren Klargesang bewusst schräg einsetzt. Es wird nicht der Versuch unternommen, harmonisch oder angenehm zu klingen, nein, es sollen noch einmal die Grenzen unserer Hörgewohnheiten ausgeweitet werden. Die menschliche Stimme wird so bei Humavoid ebenso variantenreich verwendet und ausgereizt wie die Instrumente. Trotzdem gibt es in „Undercurrent“ einen einprägsamen Refrain in all dem koordinierten Chaos. Die Schlagwörter werden pointiert herausgescreamt. Später folgt das zweite herausstechende Gitarrensolo auf dem Album und zeigt abermals Nikos Kunstfertigkeit an den Saiten. Der letzte Akt von Lidless ist „Drywall Cracks“, welcher überrascht, als in der Mitte plötzlich die Intensität reduziert wird. Wir lassen uns auf die schwerfällige, nostalgische Gesangsmelodie ein, während im Hintergrund trippelnde chromatische Läufe auf dem Keyboard Unruhe provozieren. Der Klang ist schwirrend verzerrt, ein Sound, den man aus Horrorfilmen kennt. Gitarren, Bass und Schlagzeug schleppen sich gemeinsam dahin. Sphärische Klänge lassen dann das Album ausklingen …
Humavoid spielen modernen progressiven Metal mit knackigen Rhythmen und hartem schnarrenden Bass, tiefen aggressiven Gitarren. Sie testen die Grenzen der Zuhörer*innen aus, wie sehr diese bereit sind, den überraschenden Wechseln zu folgen. Trotzdem packen Humavoid mit ihrem Groove, sodass man immer tiefer in ihre musikalischen Fantasiewelten gezogen wird. Denn nicht nur die Synthesizer und Effekte erzeugen dreidimensionale Klanglandschaften, sondern das sorgfältige Arrangement aller Lieder. Immer wieder brechen einzelne Instrumente oder Stimmen aus dem gemeinsamen Spiel aus. Es wird Platz gemacht, sodass jeder der Musiker*innen glänzen kann. Die Songs von Humavoid lassen Raum für groovige Basssoli, jazzige Pianosoli, virtuose Gitarrensoli, und dynamische Schlagzeugvariationen, häufige abrupte Tonart- und Stilwechsel. Dennoch gibt es immer eine Grundmelodie, auf die sich stets zurückbezogen wird, so bleibt man als Zuhörer*in gebannt dabei. Die Lieder sind Ausdruck extremer Gefühle durch eine stark expressive Lead-Stimme, welche ein zerrüttetes post-modernes Ich darstellt. Humavoid sind kompromisslos hart und kreativ und ihre Musik ist sehr anspruchsvoll, weil sie sehr abwechslungsreich ist. Sie brechen mit Hörgewohnheiten und provozieren mit Unvorhersehbarkeit. Das Album Lidless muss also aktiv angehört werden und taugt nicht als Hintergrundberieselung. Humavoid haben einen sehr eigenständigen Sound und haben bei all den Wechseln und Sprüngen ihren ganz unverwechselbaren Stil entwickelt. So ist jedes Lied sofort als ihres zu erkennen und das ist eine großartige Leistung im übersättigten Genre des Progressive Metal. SKULLNEWS findet, dass Humavoid im Grunde Metal für Jazzliebhaber spielen. Sie bleiben aber nicht elitistisch, sondern scheinen einen Nerv bei den Leuten zu treffen, was ihre wachsende Beliebtheit beweist. Wer Humavoid noch nicht kennt, sollte sich unbedingt einmal auf sie einlassen, denn ihre Musik ist was zum Entdecken und Staunen.
Das Album Lidless von Humavoid findet ihr hier.
Credits für das Album Lidless:
Mixed by Tuomas Yli-Jaskari at Sonic Pump Studios
Mastered by Tony Lindgren at Fascination Street
Produced by Niko Kalliojärvi