Live-Review: Streamingkonzert von Scardust

Live-Review: Streamingkonzert von Scardust

Endlich wieder live auf der Bühne! Nach genau einem Jahr können Scardust aus Israel endlich wieder für ihre Fans mit direktem Publikumskontakt performen. In Israel können Künstler*innen seit einigen Wochen aufatmen (Wortspiel, haha), nachdem mittlerweile über 80% der Bevölkerung geimpft sind, sind Locations wieder offen und Veranstaltungen erlaubt. Wie ein Großteil der Bands haben Scardust nicht aufgegeben und weiter Musik gemacht, trotz unzähliger Lockdowns, Verbote zu proben, und was es noch komplizierter macht, Scardust werden ganz essentiell vom Heavy Metal A Capella Chor Hellscore getragen. Im neuen Album Strangers haben Hellscore einen festen Platz in den Songs und gestalten wunderbar den Sound von Scardust mit – aber es war eine riesige Herausforderung, mit knapp vierzig Leuten plus Band die Albumproduktion im letzten Jahr voranzubringen. In unseren Interviews mit der Sopranistin Victoria Smolenski und Chorleitern von Hellscore (Interview mit SKULL NEWS hier) und Frontfrau von Scardust, Noa Gruman, und ihrem Schlagzeuger Yoav Weinberg (Interview mit SKULL NEWS hier) haben wir erfahren, welche Schwierigkeiten die Musiker*innen zu überwinden hatten, um endlich im Oktober 2020 das lang erwartete Album Strangers veröffentlichen zu können. Als Noa in diesen Gesprächen mit SKULL NEWS davon erzählte, wie sie anstatt als große Gruppe von Freunden gemeinsam im Studio Spaß zu haben, einzeln zuhause aufnehmen mussten, hörten wir einen dicken Kloß in ihrem Hals und merkten ihr an, wie schwer diese Zeit für sie gewesen sein musste. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz haben es Hellscore und Scardust gemeinsam und getrennt voneinander geschafft, mit Strangers eines der innovativsten Alben im Bereich Progressive Metal, Symphonic Metal, des Jahres 2020 herauszubringen – SKULL NEWS hatte es euch bereits hier vorgestellt. Vielleicht hat die Krise auch dazu geführt, dass sich die Musiker*innen noch mehr auf ihre Kunst konzentrierten, denn nie haben Scardust bei aller Innovation harmonischer, fokussierter und griffiger geklungen, ohne an Originalität zu verlieren oder in den Mainstream zu rutschen. Und die seit einem Jahr aufgestaute Energie ließen sie beim ersten richtigen Konzert vergangenen Donnerstag in einer kleinen Location in Tel Aviv ungezügelt los. Besonders Frontfrau Noa Gruman konnte endlich wieder die gewohnte Rampensau von der Kette lassen! Wahnsinn, was für eine Power sie hat! Doch auch die neuen Bandmitglieder von Scardust sind voll motiviert am Start: Zum ersten Mal sind Orr Didi und Aaron Friedland bei Scardust auf der Bühne, obwohl sie schon immer Teil der Band waren, brachten sie sich bisher aber lieber beim Songwriting und Recording ein. Orr Didi ist der neue Mann am Bass und Aaron Friedland steht am Keyboard. Beide kennen natürlich die Songs in und auswendig und fügen sich harmonisch in das Live-Geschehen ein. Ein super Einstieg!

Neu am Keyboard bei Scardust: Aaron Friedland (Fotografen: Mariano Ruben Gonzalez Oliveira)
Neu am Bass bei Scardust: Orr Didi (Fotografen: Mariano Ruben Gonzalez Oliveira)

Das Konzert wurde auf der Streamingplattform Play2Fund live übertragen, was die bessere Wahl ist, als ein Facebook-Livestream, wie zur Scardust Release-Party im November. Auf Play2Fund kann man den Stream kostenlos anschauen (Schaut den Stream hier), allerdings ist es fair, der Band auch Geld zukommen zu lassen, was man auf der Plattform schnell und unkompliziert per Kreditkarte oder PayPal erledigen kann. Den Betrag kann man frei wählen. Cool ist auch die Kommentarfunktion, durch die man als Zuschauer*innen mit der Band und den anderen Fans interagieren kann. Scardust haben sich auch während des Konzerts immer wieder Zeit genommen, in die Kommentare reinzuschauen und den Fans zu antworten und sie zu grüßen, was sehr sympathisch war. Für Bands ist diese Plattform zukunftsträchtig, da sie genug Serverkapazitäten für eine hervorragende Audio- und Videoqualität bereitstellt. Es gab keinen einzigen Ruckler während des Konzerts! Außerdem kann man auch nach dem Live-Event immer noch den Stream (auch hier auf YouTube, zeitlich unbegrenzt) bis heute Abend ansehen und der Band Geld spenden. Für Scardust hat es sich durchaus gelohnt, es haben knapp 6000 Menschen bisher zugesehen und circa 2.700 US-Dollar gespendet. Speziell der Stream von Scardust war wirklich klasse, da sie vor Ort super Regie- und Mixingteams da hatten, die sich darum kümmerten, abwechslungsreiche Kamerafahrten, Close Ups und Schnitte zu machen und den Sound aktiv nachbesserten. Und die Band selber hat sich von ihrer besten Seite gezeigt und ihre besten Songs in der Setlist gehabt. Mir persönlich gefallen die neuesten Songs vom Strangers-Album mehr als die vorigen, die älteren sind nach meinem Geschmack noch etwas ungeschliffen. Viele geniale Ideen, unglaublich viel Kreativität, aber zu wenig roter Faden. Auch ist Noa Gruman als Sängerin deutlich präziser und besonders in den Growls und Harsh Vocals stärker und heutzutage sehr überzeugend. So, nun aber zum Konzert: SKULL NEWS stellt euch hier die Highlights vor.

Scardust sind bereit (Fotografen:  Mariano Ruben Gonzalez Oliveira)

Den Anfang machen Scardust mit einem meiner Lieblingssongs vom aktuellen Album Strangers. In  „Break The Ice“ zeigt Noa Gruman ihre Wandelbarkeit vor allem in den sanfteren Gesangsparts mit einer ergreifenden Emotionalität, die direkt ins Herz geht. Ich liebe sehr, wie die Band langsam in den Song einsteigt, die Spannung aufbaut und der Chor den Sound trägt. Schade, dass Hellscore nicht beim Konzert dabei waren! Neben der wunderschönen Gesangsleistung besticht „Break The Ice“ mit interessanten Rhythmisierungen und einem der besten Gitarrensoli des Albums, live grandios performt von Yadin Moyal. Am Schluss beglückt uns die Frontfrau noch mit einem Noagasm, entlehnt vom berühmten Floorgasm (benannt nach Floor Jansen von Nightwish im atemberaubenden Finale von „Ghost Love Score“ in Wacken 2013), Wahnsinn, wie lange Noa Gruman den Ton halten kann! Doch bleibt ihr noch die Puste für eine charmante Begrüßung des Publikums, bevor Scardust mit einem Evergreen der Band, „Tantibus I“ weitermachen. Der Song vom Album Shadow von 2015 ist bis heute ein Liebling der Fans, ich finde ihn zwar originell und er zeigte damals schon das Potential der Band, ich finde aber seinen Nachfolger „Tantibus II“ wesentlich griffiger. Trotzdem muss das virtuose Keyboardspiel von Aaron Friedland hervorgehoben werden, welcher der Band eine fast schon jazzige Koloration gibt. Dagegen steht ein schöner heavy Kontrast auf dem basslastigen Finale von „Tantibus I“ gespielt von Yoav Weinberg und Orr Didi, die uns unmissverständlich daran erinnern, dass Scardust eine Metalband sind. Logisch folgt darauf „Tantibus II“, auch einer meiner Favoriten auf Strangers. In der musikalischen Fortsetzung so direkt im Anschluss hören wir klar, wo sich Scardust im Songwriting weiterentwickelt haben. Sie bleiben progressiv und überraschend, doch finden sie öfter zur Leadmelodie zurück, was den Zuhörer*innen den Song deutlich zugänglicher macht. Die einzelnen Instrumente werden sinnvoller arrangiert, mal zurückgenommen, um der Leadstimme Raum zu geben, mal gehen alle volle Möhre gemeinsam ab, die Solomomente reihen sich besser in den Kontext des Lieds ein. Auch gesanglich ist „Tantibus II“ eine enorme Steigerung, der Chor Hellscore ist organischer integriert und Sängerin Noa Gruman wechselt in Sekundenbruchteilen zwischen ihren verschiedenen Gesangstechniken, setzt sie präzise und auf den Ton genau ein, wie ihre frühere Lehrerin Floor Jansen, die auch für diese außergewöhnliche Fähigkeit berühmt ist. Für mich zählt Noa Gruman deshalb zu den wandelbarsten Stimmen im Rock und Metal. Das war sie schon bei den vorigen Alben, doch hat sie auf Strangers ein zarteres Fingerspitzengefühl für den Einsatz ihrer Powerstimme entwickelt, was besonders beeindruckend in dieser Live-Performance rüberkommt. In „Tantibus II“ muss auch noch einmal Yadin Moyals geniales Gitarrensolo gelobt werden, schön, wie sich die Band in diesem Moment in den Hintergrund bewegt, damit Yadin glänzen kann.

Scardust (Fotografen:  Mariano Ruben Gonzalez Oliveira)

Darauf folgt ein Song, den ich zuerst nicht so sehr mochte, weil er fast schon poppige Beats und Feelings hat, doch man kann nicht anders, als süchtig nach „Addicted“ zu werden. Das dreidimensionale Arrangement, die Dramatik, die die Streicher und der Chor aufbauen, dazu erneut ein brillantes Gitarrensolo im Wechselspiel mit Aaron Friedland am Keyboard, klasse! Für Lied Nummer fünf war eigentlich vorgesehen, dass Sänger Kobi Farhi von Orphaned Land die Band unterstützt, doch leider musste er sich um seine Familie kümmern. Die Rolle übernahm dann Gitarrist Yadin Moyal, der gerne öfter Leadvocals oder Covocals machen könnte, er hat nämlich eine schöne Singstimme! Warm und rauchig, doch melodiös, steht er gut im Kontrast zu Noas bösen und tiefen Growls. Dieser Gegensatz unterstützt toll die creepy Grundstimmung des Songs „Out of Strong Came Sweetness“ (Album Sands Of Time). Nach einer lustigen und charismatischen Ansage spielen Scardust mit „Arrowhead“ einen weiteren Klassiker des Sands Of Time Albums von 2017. Auch in diesem Golden Oldie gefallen mir sehr die abgehackte, spannende Rhythmisierung, das schöne Klaviersolo. Hervorzuheben ist auch die Dynamik zwischen dem fingerfertigen Basssolo von Orr Didi und Noas stimmlichen Höhenflügen, dazu gibt Yoav Weinberg einen flowenden Drive auf dem Schlagzeug. In Scardust kommen wirklich alle Talente der Bands zum Tragen. Ganz ohne Egoshow, sondern harmonisch und gut abgestimmt. Langsam kommt auch das Publikum hörbar in Fahrt, leider sind nicht genügend Mikros in die Menge gerichtet. Wir hätten gerne mehr von ihnen gehört! Außerdem fand ich nicht so glücklich, dass nach dem Anheizen mit den flotteren alten Songs nun mit „Sands Of Time“ ein eher ruhigeres, in sich gewandtes Lied gespielt wurde. Es ist ohne Frage eine der schönsten Balladen von Scardust, doch eher was für den Ausklang eines Konzerts, normalerweise spielen sie es auch eher am Ende der Setlist. Für ihren ungewöhnlichsten Song des Strangers Albums, „Concrete Cages“, konnten Scardust wegen der Reisebeschränkungen leider ihre Kollegin Patty Gurdy nichtlive dabei haben. Die virtuose Drehleierspielerin aus Deutschland hat ihren Part live gefilmt und Scardust spielten parallel zu dieser Aufnahme. Eine echt gute Notlösung! Hoffentlich sehen wir sie bald mal zusammen live in Europa… „Concrete Cages“ bricht ziemlich aus dem Sound des restlichen Albums heraus, ist aber ein echtes Juwel. Die Stimmen von Patty Gurdy und Noa Gruman passen einfach wundervoll zusammen, man hört, dass die beiden Musiker*innen eine enge Freundschaft und Vertrautheit verbindet und sie sich künstlerisch gegenseitig stark inspirieren. Die beiden sind einfach zu knuffig zusammen – naja, nur auf dem Bildschirm zur Zeit. Die Band integriert gekonnt den irisch-folklorischen Sound der Drehleier in ihren Progressive Metal und wir können hoffen, dass es in Zukunft öfter zu Kooperationen zwischen Scardust und Patty Gurdy kommen kann. Nach „Concrete Cages“ verkündet die Band, wer das besondere Bundle gewonnen hat. Wer das Event auf den sozialen Medien geteilt hat, dessen Name kam in die Losschüssel. So bindet man gekonnt die Fans in die Promo ein und pflegt gleichzeitig eine gute Bindung an die Fans! „Gone“ ist ein weiterer Megahit vom Album Strangers. Die fliegenden Wechsel zwischen Klarstimme und Harsh Vocals sind einfach nur brillant und auf den Punkt! Atemberaubend! In „Gone“ sind Scardust heavy und progressiv in den Strophen, nehmen uns im Refrain aber mit einer hymnischen Melodie an die Hand und das dazugehörige Musikvideo lässt mich ständig vom schönen Strand in Israel träumen … Wird Zeit, dass wir irgendwann wieder reisen dürfen! „Gone“ ist live noch einmal so viel besser, sodass ich dieses Lied mehrmals in Repeat angesehen habe. Mit „Mist“, welches einer der Liedzwillinge auf dem Album ist (Scardust haben die Songs als sich ergänzende Paare konzipiert und in einem Flow aufgenommen! Mehr erfahrt ihr in unserem Interview.), geht ein grandioses Live-Streamingevent zu Ende. Eine positive Sache ist aus der Pandemiekrise erwachsen, dass man nun mehr Streamkonzerte angeboten bekommt und die Aufnahmen meist so oft man will noch einmal ansehen und erleben kann. Das ersetzt natürlich kein Konzert in Person, doch ist es eine andere Art, die Bands zu erleben. Scardust haben jedenfalls mit ihrer Breaking The Ice Show ein interaktives Erlebnis für ihre Fans geschaffen, an dem Band und Publikum sichtlich Spaß hatten. Ein rundum gelungener Abend mit einer ausgewogenen Setlist und einer Band, die wie der Phönix aus der Asche auferstanden ist und eine geniale Show geliefert hat! SKULL NEWS empfiehlt euch, mal in die Videos auf Play2Fund und YouTube reinzusehen! Übrigens haben Scardust zur Feier des Tages ihren Merchandise aufgestockt und alte Motive und Artikel wieder ins Programm genommen. Auf ihrer Webseite (Links unten) findet ihr außerdem alle ihre Alben.

Sichtlich happy über ihr erstes Konzert nach über einem Jahr: Scardust (Foto von Facebook)

Setlist: Scardust Live-Konzert Breaking The Ice (18. März 2021)

01 – Break The Ice

02 – Tantibus I

03 – Tantibus II

04 – Addicted

05 – Out Of Strong Came Sweetness

06 – Arrowhead

07 – Sands Of Time

08 – Concrete Cages

09 – Gone

10 – Mist

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