Review: WALDGEFLÜSTER – Dahoam

Review: WALDGEFLÜSTER – Dahoam

Daheimbleiben in Coronazeiten kann auch was Gutes mit sich bringen. Das beweisen Waldgeflüster mit ihrem neuen Album Dahoam. SKULL NEWS durfte für euch schon reinhören und stellt euch das Album vor!

Waldgeflüster

Tracklist: Waldgeflüster Dahoam (24. September 2021, AOP Records)

01 – A Taglachinger Morgen

02 – Im Ebersberger Forst

03 – Am Stoa

04 – Am Tatzlwurm

05 – In da Fuizn

06 – Mim Blick aufn Kaiser

07 – Am Wendelstoa

Das Album Dahoam lassen Waldgeflüster erst einmal mit „A Taglachinger Morgen“ ruhig angehen, es ist wohl auch eher als ein Intro für die Platte anzusehen. Passend zum kurzen Vierzeiler, welcher in lokaler Mundart von der magischen morgendlichen Atmosphäre über der idyllischen Voralpenlandschaft singt, bringen uns sanftes Akustikgitarrenspiel und Vogelgesang in Stimmung. Für mich kommen beim Klang des vertrauten Dialekts Erinnerungen an meine Jugend in Oberbayern auf, an die von kleinen Wäldchen, Naturreservaten und natürlich von den großen Seen durchsetzten Kulturlandschaft, die hübschen Dörfchen und der Blick auf das nicht allzu weit entfernte Alpenpanorama. Durchaus ein Flecken Erde, für den man tiefen Lokalpatriotismus (sogar für mich als Zugezogne) empfinden kann. Umso mehr war ich neugierig, als Waldgeflüster vor ein paar Monaten erste News über ihr neues Album Dahoam mitteilten! Immerhin drückten sie bisher in ihren Alben, vor allem im nach wie vor genialen Album Femundsmarka ihre Sehnsucht nach der Einsamkeit und Rauheit des Nordens aus. Nun besinnt man sich also auf die Schönheit der Natur vor der eigenen Haustür und mehr noch. Dahoam widmet nicht nur je ein Lied jeweils einer besonders urigen Landschaft, sondern auch selbstbewusst dem einheimischen Dialekt. Denn Sänger Jan „Winterherz“ scheint stimmlich noch einmal wesentlich mehr Authentizität auszudrücken, wenn er in seiner Mundart singt. Auch kommen so der eigentümliche Wortschatz und die damit verbundenen Emotionen und Bilder zur Geltung, denn Dialekte unterscheiden sich ja nicht nur von der Aussprache, sondern auch in der Grammatik und in ihren ureigenen Sprachbildern und im Wortschatz vom Standarddeutsch! So wissen bis heute Kinder aus der Region, wer die grausigen Perchten sind – Brauchtum, was bis heute in einigen Gemeinden des oberdeutschen Raums gepflegt wird. Die guten Perchten (Schönperchten) begegnen tagsüber den Dorfbewohnern, um sie beim Übergang vom Winter zum Frühjahr zu segnen und ihnen Glück zu wünschen, während des Nachts die Schiechperchten, dargestellt als grausige Dämonen, den Leuten Angst einjagen, um dass sie die uralten Regeln einhalten, und gleichzeitig sollen sie den Winter und dessen böse Geister mit möglichst viel Lärm austreiben. Zur Heimat gehören diese jahrhundertealten Geschichten und Traditionen, welche im Lied „Im Ebersberger Forst“ zeitgemäß verewigt werden. Es ist ohne Frage eins der besten Lieder auf dem Album, weil es einen starken Spannungsbogen durch die Kontraste aus bedrohlich hetzenden, atemlosen Parts, die uns an die wütenden Perchten erinnern, und epischen Refrains aufbaut. Zwischendrin kommen Waldgeflüster typische akustische und ruhigere Liedteile, geben uns eine Schnaufpause. „Im Ebersberger Forst“ schafft es, einerseits die Mythologie der Perchten zu erzählen, andererseits auch die eigentümliche Stimmung im oberbayerischen Wald in ihren Lyrics widerzuspiegeln, als auch einen wirklich eingängigen Chorus anzustimmen. Das Lied bleibt für mich schon nach dem ersten Anhören hängen. Musikalisch gefällt mir das sehr dreidimensionale Mastering und Arrangement sehr gut, wozu auch der Gast-Keyboarder Benjamin König (Lunar Aurora und Bald Anders) beiträgt.

Waldgeflüster „Im Ebersberger Forst“

Nach diesem Epos folgt mit „Am Stoa“ ein zartes Kleinod. Sphärisch, nachdenklich, so wie die Stimmung am realen besungenen „Stoa“. Denn im Songtext geht es einen der größten Findlinge im Südbayerischen Raum, den Stoa bei Edling, welcher erst Ende der Achtziger Jahre bei Kiesarbeiten ausgegraben wurde. Der mächtige Brocken muss irgendwann von Gletschern aus Südtirol bis in die Edlinger Gegend gebracht worden sein und bald nach seiner Entdeckung wurde aus weiteren Findlingen ein kleines Freilichttheater errichtet. Eine beeindruckende Örtlichkeit mitten in der Natur, wo man sich als Wanderer in der Endlosigkeit der Heimat als das kleinste Rad fühlen kann (im Song natürlich auf Bairisch ausgedrückt). Mit „Am Stoa“ beziehen sich Waldgeflüster klar auf ihr früheres Album Femundsmarka zurück, zwischen den über zehn Minuten langen, kompositorisch komplexen und emotional intensiven Liedern „Im Ebersberger Forst“ und „Am Tatzlwurm“ kommt man hier für einen Moment zur Ruhe. Mir gefällt am Album Dahoam ganz besonders, dass Waldgeflüster in Kontinuität zu den vorigen Alben eine vergleichbare transzendente und inspirierte musikalische Verbindung zur Natur aufbauen und wir Zuhörer*innen aus ihrer Sicht die wilden Schönheiten, die einsamen Momente, das Staunen miterleben können. Aber auch das Bedrohliche, denn zwar sind die meisten Wälder in Deutschland mittlerweile gezähmt und übersichtlich, größere Raubtiere kommen nur langsam in die Schutzgebiete zurück, aber dennoch hat der Wald an sich noch immer eine dunkle, geheimnisvolle Wirkung auf uns. Die Geschichten von Ungeheuern und Schrecken werden bis heute erzählt, so auch jene über die drachenartigen Fabeltiere, die man im alpenländischen Raum als „Tatzelwurm“ bezeichnet. So ein Lindwurm soll früher bei Brannenburg in der Schlucht des gleichnamigen Wasserfalls gehaust haben. Vielleicht kommt dieser Aberglaube daher, dass an dieser außergewöhnlich steilen, tiefen und engen Kaskade das Wasser mit einem solchen Getöse herunter rauscht, dass man angesichts der Naturgewalten ehrfürchtig wird.

„Am Tatzelwurm wo’s schreid und bruid
wo’s Wassa in de Schlucht obefliagt
wo de Angst de klammen Herzen erfuid
und a Gespensd namens Lindwurm durch de Wäida ziagt“

Dieses durchdringende Gefühl, poetisch besungen, kommt im Song nicht nur durch die eingespielten Wassergeräusche, sondern vor allem durch die aufbrausende Intensität der Instrumente zum Ausdruck. Verstärkung bekommen Waldgeflüster auch mit der charakteristischen Stimme von J.J. (Michael V. Wahntraum) von Harakiri For The Sky (und Karg).

Waldgeflüster „Am Tatzlwurm“

Nahtlos schließt „In da Fuizn“ an, welches dem gleichnamigen Moorgebiet bei Rosenheim gewidmet ist. Um Moore ranken sich bis heute Schauergeschichten, dass man bei einem unachtsamen Schritt in den braunen Morast versinkt oder als Wanderer Moorleichen findet – mit diesen Bildern spielen Waldgeflüster in ihrem Lied. Sänger Winterherz reizt seinen Kehlkopf reichlich aus, um mit schrecklich knarzender, heiserer Stimme diese „Gschichten“ gebührend rüberzubringen. Schöner Kontrast zu den basslastigen Instrumenten, Nostarion von Dämmerfarben sorgt am Cello für die nötige Melancholie – viel zu schnell geht dieses Lied vorbei! Ich persönlich mag lieber die langen Songs auf dem Album, weil man sich beim Anhören in die Musik verlieren kann. „Mim Blick aufn Kaiser“ ist das dritte größere Kapitel auf dem Album und wie die anderen beiden sehr abwechslungsreich, spannungsvoll und emotional. Mächtig kommen die Stimmen von Jan und Gast Austin Lunn von Panopticon rüber, so wie die besungene Bergkette vom „Kaiser“, was schön mit den akustischen Parts kontrastiert. So geht mit dem sich anschließenden überwiegend stromlosen Lagerfeuerlied „Am Wendelstoa“ das Album entspannt zu Ende. Dahoam ist wahrlich eine lokalpatriotische Hommage an die Heimat und Waldgeflüster bringen gekonnt die Inspiration, die sie Angesichts der hiesigen Natur empfinden, für uns in ihrer Musik authentisch, greifbar, zum Ausdruck. Rundum ein gelungenes Album, auf dem Waldgeflüster noch mehr in Richtung Ambient Black Metal gehen und deutlich an Komplexität und gleichzeitig an Griffigkeit im Songwriting dazugewonnen haben.

Waldgeflüster Dahoam

Leider kann für die physischen Medien der geplante Termin zur Veröffentlichung nicht eingehalten werden, dieser wurde auf den 22. Oktober 2021 wegen Lieferproblemen verschoben. Das Album kommt aber diesen Freitag sowohl auf dem YouTube Kanal von Waldgeflüster raus, als auch auf Bandcamp. Beides ist zwar kostenlos, aber wenn euch die Musik gefällt, dann lasst doch auf Bandcamp ein paar Euros aufs Konto der Band wandern!

Musik und Merchandise findet ihr auf der Webseite von Waldgeflüster

Mehr über Waldgeflüster auch hier auf SKULL NEWS

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