Du host Klezmer! – Livebericht und Interview mit DOBRANOTCH

Du host Klezmer! – Livebericht und Interview mit DOBRANOTCH

Am 15. November 2023 holte der gemeinnütze Verein Karman e.V. die wilde Klezmer Crossover Band Dobranotch nach Augsburg und heizte den bayerischen Schwaben ordentlich ein! “Dobranotch” bedeutet auf Russisch “Gute Nacht” und laut Frontmann Mitia Khramtsov werden in ihrer Heimat Russland auch so die Songs genannt, die quasi als Rausschmeißer am Ende einer jüdischen Hochzeit gespielt werden. Über sich selbst sagt Mitia, er spiele hauptsächlich Fiddle und mache Witze und diese Energie bekamen wir an dem illustren Abend in der Kresslesmühle in Augsburg auch vom ersten Takt an zu spüren! Der kleine aber feine Konzert- und Kulturraum war rappelvoll mit Tanzwütigen, die mitten unter der Woche einen drauf machen wollten – da brauchten Dobranotch nicht lange zu animieren, schon bald kochte der Saal und es gab wilde Polonäsen, Kreistänze, und Fiddlewettbewerbe zwischen Mitia und dem Publikum. Die Band aus Sankt Petersburg weiß einfach genau, wie sie die Leute anheizt mit ihrem temperamentvollem Crossover aus Klezmer-Tradition, Ska-Elementen, alpinem Humppa-Sound, Balkanbeats und Bossanova-Eleganz. Die Setlist bestand überwiegend aus Traditionals der jüdischen Kultur Osteuropas, wie uns Mitia erklärte, die sie gerne im buntem – und mehrfach mit Preisen wie dem German Record Critics Award und dem Ersten Platz des Eisernen Eversteiner ausgezeichneten – Stil von Dobranotch aufleben lassen. Gesungen wird in Jiddisch, Englisch, Ukrainisch, Türkisch und Deutsch, womit Dobranotch das ebenfalls die Herzen des kulturell und sprachlich sehr gemischten Publikums Augsburgs im Sturm eroberte. Einen “modernen” Song gaben Dobranotch neben all der Folklore zum Besten, und zwar eine urkomische und eigenständige Version von Rammsteins “Du Hast”:

Dobranotch “Du Hast” (Rammstein Cover)

Leider konnte der Dobranotch-Trupp nicht in der üblichen größeren Besetzung auftreten, da sich die Band momentan im Exil befindet. 2022 gingen sie ins Ausland, die meisten von ihnen nach Deutschland, um sich nicht nur geographisch vom Regime zu distanzieren. Doch auch in der kleineren Zusammensetzung kam der Sound von Dobranotch voll und kräftig rüber!

Ich habe mich zum ersten Mal für SKULL NEWS als Konzertfotografin ausprobieren können, wovon die unten stehenden Fotos ein schönes Best Of des Abends und die Stimmung des Abends zeigen. Im Anschluss an das Konzert stand mir noch Mitia Khramtsov für ein kurzes Interview zur Verfügung.

Vielen Dank an Dobranotch für den heißen Abend und an Karman e.V. dafür, dass ihr euch für gelebte Multikulturalität in Südbayern einsetzt!

Seit 2008 engagieren sich die Mitglieder von Karman e.V. ehrenamtlich für ein gutes interkulturelles Miteinander, indem sie Bands aus aller Welt und aus allen musikalischen Nischen nach Augsburg und Umgebung holen und jährlich im Schnitt um die 30 Veranstaltungen organisieren. Unter den gebuchten Gruppen sind häufig auch geflüchtete Künstler:innen, welche durch das Engagement des Vereins auf ihre Sache und vor Allem auf ihre Musik aufmerksam machen können.

Jasmin: Danke, Mitia, dass du dir Zeit nimmst!

Mitia: Klar, gerne.

Jasmin: Mir ist natürlich das Lied “Du Hast”, das Cover von Rammstein, aufgefallen. Warum habt ihr das eher am Ende gespielt? Das ist doch bestimmt ein Publikumsliebling in Deutschland?

Mitia: Ja, wir haben es als vorletzten Song gespielt. Es stellte sich raus, dass es ein Hit ist, aber wir wollen es nicht ganz zum Schluss spielen, weil es nicht ganz unsren Stil repräsentiert. Trotzdem haben wir es ins Jiddische übersetzt, also an uns angepasst, deshalb sagen wir “Du host” und nicht “Du hast”. Die Leute finden, dass es ein lustiger Gag ist und deshalb müssen wir es immer spielen.

Jasmin: Es ist eigentlich lustig, dass ihr dieses Lied spielt, weil es ironisch mit dem Thema eures Bandkonzepts, der jiddischen Hochzeitsmusik, spielt.

Mitia: Ja, das ist eine schöne Ironie. Auch weil das Lied im Original diesen typisch deutschen, ernsten, Industrial-Sound hat. Und wir kommen daher mit unserem fröhlichen jiddischen Sound. Jetzt, wo wir fest in Deutschland leben, müssen wir es immer spielen. Natürlich sind die Deutschen nicht ganz so heißblütig wie die Südländer, aber die Deutschen können schon Party machen. Ihr habt diese ganzen Rockclubs, wo es mit Mosh Pits abgeht und bei unseren Konzerten wird viel getanzt.

Jasmin: Aber um Punkt elf Uhr muss Schluss sein, weil wir am nächsten Tag brav in die Arbeit gehen!

Mitia: Das ist ein weiteres Stereotyp. Aber es ist lustig.

Jasmin: Beeinflusst eure Exil-Situation eure neue Musik? Haben die aktuellen Kriege einen Einfluss auf eure Band und eure Musik?

Mitia: Natürlich. Wegen des Kriegs in der Ukraine sind wir überhaupt in Deutschland. Wir haben letztes Jahr Russland verlassen, weil wir nicht involviert sein wollen. Das beeinflusst uns natürlich, weil wir uns zum Beispiel manchmal fragen, ob es in Ordnung ist, diesen oder jenen Song zu spielen, oder ob dann jemand traurig wird [Bemerkung: Dobranotch haben positives Feedback vom Publikum bekommen, als einen ukrainischen Song gespielt haben, auch von den anwesenden Russlanddeutschen.]. Wir fragen uns immer, ob wir damit beispielsweise russische Fans oder ukrainische Fans verärgern könnten. Dann in der aktuellen Situation mit dem Krieg in Israel wird es kompliziert, weil wir jiddische Kultur repräsentieren und nicht die israelische Kultur. Aber trotzdem sind wir auch mit Israel verbunden. Wir haben nichts mit der politischen Situation im Nahen Osten zu tun, dennoch sind wir durch unsere Kulturen ein wenig miteinander verbunden. Deshalb grübeln wir, ob wir etwas zu der Situation sagen sollen und wir wissen, dass manche Leute von uns ein Statement erwarten. Von verschiedenen Seiten werden Erwartungen an uns getragen, die mit der Musik nicht so viel zu tun haben. Und unsere Musik soll den Leuten Freude bringen, allen voran. Dann wiederum meinen manche, es sei kein guter Zeitpunkt für Entertainment, während woanders Menschen sterben. Dennoch denke ich, man kann nicht ununterbrochen trauern. Die Lebenden können nicht ständig deprimiert bleiben, das ist nicht gesund. Wir müssen unsere Kinder großziehen, uns um unsere älteren Menschen kümmern, wir brauchen auch Entertainment.

Jasmin: Wie bist du überhaupt dazu gekommen, jiddische Musik zu spielen?

Mitia: Ich bin eigentlich wie ein normales Kind in der Sowjetunion aufgewachsen, ohne großen Kontakt zu jiddischer Musik. Später habe ich viel Folk gehört oder Celtic Punkt wie The Pokes oder irische traditionelle Musik, viel Folklore aus Finnland und Skandinavien habe ich angehört. Russische Volksmusik und jüdische Volksmusik haben mich auch immer schon interessiert, weil dies meine kulturellen Wurzeln sind. So fand ich dazu und lernte, diese Musik zu spielen.

Jasmin: Ihr habt ja kürzlich eine neue Single veröffentlicht, arbeitet Dobranotch auch an einem neuen Album?

Mitia: Ja, wir sind dabei.

Jasmin: Und für das neue Album, was sind eure musikalischen Einflüsse, eure Inspiration?

Mitia: Oh, also für die neuen Lieder haben wir einen Mix aus Allem. Wir werden wie immer jiddischen Klezmer dabei haben, dazu ein bisschen rumänische Musik, aus der Region der Karpaten allgemein. Diese Region ist in der Mitte allermöglichen Kulturen. Da stoßen die Kulturen Ungarns, Rumäniens, der Slowakei und mehr zusammen, und wir werden Lieder von dort in der russischen Übersetzung spielen. Eigentlich eher in einer russischen Neufassung. Ein Freund hat neue russische Lyrics für diese folklorischen Songs geschrieben. So folgen wir auch der Tradition. Es war immer so, einer singt das Lied mit einem Refrain oder einer Strophe, die er geschrieben hat, ein anderer seine eigene Version, aber die Leute kennen die Melodie.

Jasmin: Das ist schon sehr spannend, vor allem mit dem Einfluss von Kapitalismus auf die Musik, hat man heute eher das Gefühl, dass Künstler denken, ihnen “gehöre” die Musik.

Mitia: Natürlich, es will ja jeder Tantiemen verdienen. So wie wir Musik machen, so war es früher, bevor Musik aufgenommen wurde und verkauft werden konnte. Früher hat man die Lieder gelernt, gespielt, vielleicht verändert und so verbreitet, aber man hat sie nicht “besitzen” können. Heute ist es eine andere Welt.

Jasmin: Auf der anderen Seite hilft es vielleicht den Bands auch ihren eigenen Stil zu finden, wenn sie sich ihre Aufnahmen später anhören können. Und man hat einen Beweis für den eigenen Stil.

Mitia: Das war früher auch schon so, aber lokal begrenzt. Die Bands waren ja für ihre Live-Musik bekannt und sie waren lokal berühmt. Mit den Aufnahmen können Leute am anderen Ende der Welt die Musik anhören. Das ist doch was Schönes!

Jasmin: Ein gutes Wort für den Schluss! Vielen Dank für deine Zeit und Antworten!

Mitia: Gerne!

Alle Fotos von Jasmin, das Copyright liegt bei SKULL NEWS. Gerne könnt ihr unsere Fotos teilen, wenn ihr den Link zu unserem Blog teilt!

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Unterstützt auch Karman e.V. aus Augsburg mit ihrer sensationellen Kulturarbeit in Südbayern!

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