“Ich finde es schwer, über belanglose Dinge zu schreiben” – Interview mit Rapperin Haszcara
Haszcara hat vielleicht noch keine sechsstelligen Views auf YouTube, aber sie ist eine der wortgewandtesten und engagiertesten Rapperinnen Deutschlands. Ihre Texte gehen in die Tiefe und ihr Rap ist entspannt und dennoch virtuos rhythmisiert. Sie ist eine echte Selfmade Frau, die authentische Musik „from scratch“ macht.
Ohne die Hater zu beleidigen, kritisiert Haszcara Diskriminierung und Missstände, gibt den Ausgegrenzten und Chancenlosen eine Stimme und zeigt, dass deutscher Rap mehr kann als Schimpfwörter und Frauenverachtung. Im Gegenteil! Haszcara begegnet dem Hass mit unermüdlichem Optimismus und reicht die Hand, ohne jedoch locker zu lassen, für ihre eigenen moralischen Werte einzustehen. Im Kontext des Pride Month freuen wir uns umso mehr, mit euch dieses Interview mit Haszcara zu teilen! Doch wie kam es überhaupt dazu? Juliette Guenau stellt Haszcara und unser Projekt kurz vor:
“Wir sind eine Seminarklasse im dritten Bachelorjahr, die aus verschiedenen Studiengängen an der Université de Bourgogne, Dijon, hervorgegangen ist. Wir sind Studierende aus klassischer Geschichte, Anglistik, Germanistik, Musikwissenschaften und Geografie. Mit unserer Deutschlehrerin Jasmin Hammon lernten wir im ersten Semester 2022/23 deutschen Heavy Metal und im zweiten Semester Hip Hop aus Deutschland kennen. Wir haben uns mit den verschiedenen Aspekten des deutschen Hip Hops beschäftigt, z. B. mit kommerziellem Hip Hop, den Crossover von Hip Hop und Metal oder die Frauen im deutschen Hip Hop. Dank unserer Lehrerin und ihrem Unterricht konnten wir eine Hip Hop-Künstlerin kennenlernen, die uns ein Interview gab, was den Höhepunkt unseres Semesters darstellte. Die aus Göttingen stammende Künstlerin Haszcara hat schon sehr früh angefangen, Musik zu machen und hat sich 2015 mit der Teilnahme an einem Videobattle-Turnier hervorgetan. Haszcara veröffentlichte 2017 ihre erste EP Roter Riese und unterschrieb 2018 bei dem Independent-Label Audiolith.”
Jasmin: Hallo, Haszcara, danke, dass du Lust auf dieses Interview mit mir und meiner ehemaligen Studentin Julie hast!
Haszcara: Sehr gerne!
Jasmin: Haszcara, du hast ja vor Kurzem ein neues Lied mit Video rausgebracht. „Nicht wie du“ mit deinem ‚Bruder‘ Sir Mantis…
Haszcara: Ha ha, ja, „Bruder“, nicht mein richtiger Bruder, sondern ‚my brother from another mother‘. In der Musik sind wir alle Bruder und Schwester.
Jasmin: Cool! Und bedeutet der Release, dass bald mehr neue Musik von dir kommt?
Haszcara: Es gibt ganz viel Neues von mir, ich muss es nur rausbringen!
Jasmin: Das sind gute Neuigkeiten!
Julie: Also ich würde gerne wissen, warum deine letzte EP Hautnah auf Kassette veröffentlicht wurde? Bei unseren Recherchen haben wir das gesehen und uns gefragt, ob du da nostalgisch warst? Hast du dich an die Zeit erinnert, wo es nur Kassetten gab, oder hast du dich vom Retro-Trend der Serien wie Stranger Things oder Tote Mädchen lügen nicht inspirieren lassen?
Haszcara: Tatsächlich gar nicht! Ich habe damals meine Musik auf CD und Vinyl veröffentlicht und es wurde mir angeboten, es auch auf Kassette rauszubringen. Die Veröffentlichung ging über das Label eines Freundes und der hat mich gefragt, ob wir es auch auf Vinyl und Kassette rausbringen wollen.
Ich sagte ja, warum auch nicht. Ich verstehe voll, wenn Leute das gut finden. Aber ich selbst lebe eher einen minimalistischen Lifestyle und habe selbst kaum CDs. Von meiner Seite hätte es gereicht, meine Musik digital zu veröffentlichen.
Jasmin: Ein anderes Thema war uns besonders wichtig, nämlich der Platz der Frauen in der deutschen Hip Hop Szene. Meinst du, dass du eher extra kämpfen musstest, um deinen Platz zu finden? Musstest du mehr und lauter liefern als die Männer, um im Hip Hop gehört zu werden?
Haszcara: Es hat sich, seitdem ich begonnen habe, Musik zu veröffentlichen, sehr viel verändert. Ich war ja schon am Start, bevor die bekannteren weiblichen Hip Hop Acts wie SXTN Aufmerksamkeit bekamen. Ich persönlich hatte nie das Gefühl, mehr oder anders kämpfen zu müssen. Natürlich erlebe ich immer noch mal auf Konzerten zum Beispiel, dass mich ein sexistischer Tontechniker nicht richtig ernst nimmt, oder ähnliche Situationen. Das passiert aber in jedem Musikgenre. Ich würde eher sagen, dass diese Social Media Standards problematisch sind. Ich habe das zwar noch nie gemacht, aber ich könnte auch irgendwelche Videos auf Tik Tok machen, wie es irgendwie von Frauen erwartet wird, aber darauf habe ich einfach keinen Bock. Und ich muss das auch nicht machen. Da hat sich wirklich viel verändert, was die Erwartungen betrifft.
Jasmin: An diesen Veränderungen bist du ja durchaus auch in deinem Rahmen beteiligt gewesen. Du machst mit deinen Lyrics einen Unterschied. Was wir besonders gut finden, ist, dass du es schaffst, in deinen Texten die diskriminierenden, rassistischen, homophoben Leute zu kritisieren, sie an den Pranger zu stellen, ohne dass du selbst hatest oder beleidigst. Wie schaffst du es, da die Ruhe zu behalten, wenn du zum Beispiel über Rechtsextreme singst?
Haszcara: Danke für das Kompliment! Das ist richtig schön zu hören, dass meine Texte so rüberkommen. Ich denke, das liegt an Empathie und daran, dass ich tief im Herzen glaube, dass alle Menschen davon überzeugt sind, das Richtige zu tun. Ich gehe nicht davon aus, dass jemand an sich schlecht ist. Klar bauen manche Leute Scheiße, aber ich bin mir sicher, dass alle in sich drin einen moralischen Kompass haben. So denken sie, sie machen gerade das für sie Richtige. Mit dieser Einstellung begegne ich den Leuten erst einmal. Sicher spielt da meine Kindheit eine Rolle, denn ich bin in einem sehr diversen Umfeld aufgewachsen und kann nachvollziehen, wenn jemand nicht den gleichen Zugang zu politischer Bildung hat. Das sollte also nicht der Grund sein, jemanden respektlos anzugreifen. Man braucht einfach, finde ich, dieses positive Grundverständnis.
Julie: Du kritisierst in deinen Songs Sexismus, Fremdenhass, Homophobie und so weiter. Wie setzt du dich darüber hinaus noch für diese Themen ein?
Haszcara: Neben der Musik arbeite ich in Bereichen, wo ich mich für diese Themen einsetzen kann. Ich gebe zum Beispiel Workshops im Bereich Hip Hop und vor allem im Bereich Empowerment von Mädchen, so wie auch Diversity und Body Acceptance oder Body Positivity im Kontext von Rap. In meiner Arbeit, sowohl als Musikerin und „nebenher“ in meiner Bildungsarbeit, sind das für mich die wichtigsten Punkte.
Jasmin: Für deine Songs machst du ja so gut wie alles selbst, nicht wahr?
Haszcara: Ja, die Beats, Aufnahme, Mixing …
Jasmin: Wenn ich da an den Tontechniker denke, den du vorhin erwähnt hast, wäre das nicht einen Song wert, „Mansplaining“?!
Haszcara: Oh ja, aber da bekomme ich mehr Lust auf Metal!
Jasmin: Gibt es da Hoffnung, dass du mal wieder was in Richtung Metal machst? Du hast ja früher mal in einer Metal Band gesungen?
Haszcara: Auf jeden Fall! Ich habe mir an Weihnachten eine E-Gitarre gekauft!
Julie: Welche Instrumente spielst du?
Haszcara: Gitarre und Klavier.
Julie: Cool, ich spiele auch Klavier!
Haszcara: Cool! Ja, und ich habe in letzter Zeit ehrlich gesagt weniger im Bereich Rap gemacht und mehr andere Songs geschrieben. Ich bin ein bisschen müde vom Rap. Es bleibt eine Leidenschaft und bleibt bei mir, aber im Metal kann ich meine Emotionen ganz anders verarbeiten. Es ist so viel wilder, was ich total liebe. Metal wäre cool, aber das kann man so schlecht allein machen. Von daher, lass uns eine Band aufmachen, ich bin dabei! Ich probiere mich im Moment viel aus, gerne mal was Punkiges, und allgemein spiele ich aktuell gerne wieder mehr Instrumente. Rap ist das, was damals für mich funktioniert hat, auch wenn ich immer verschiedene Arten von Musik gemacht habe. Deswegen habe ich Lust, wieder mehr was anderes zu machen. Wenn es den Leuten gefällt, cool, wenn nicht, ist auch nicht so schlimm. Es muss vor allem mir gefallen.
Julie: Was macht dir am meisten Spaß am Entstehungsprozess, das Songwriting, die Texte, die Komposition, die Aufnahme?
Haszcara: Mein Lieblingsmoment ist, wenn ich eine Demo gemacht habe, egal, ob als richtige Aufnahme oder einfach mit dem Handy. Wenn ich für das Lied ein Grundgerüst habe, so dass es anhörbar ist und ich es beim Spazieren auf Repeat anhören kann, das ist mein liebster Moment. Alles, was danach kommt, ist für mich immer der Horror. Deswegen bringe ich so selten neue Musik raus! Ich habe tausend fast fertige Songs, aber das ist eine Qual…
Julie: Hast du auch manchmal Momente, wie Taylor Swift, dass du um drei Uhr in der Nacht aufwachst, weil du an ein Lied denkst? Und dann musst du aufstehen und es aufnehmen?
Haszcara: Ja.
Julie: Wann war das zuletzt und worum ging es in dem Song?
Haszcara: [Seufzt] Das ist schwierig. Es ist wie ein Blackout danach, deshalb muss ich kurz überlegen. Das letzte Mal, als mir das passiert ist, war, als ich eigentlich zum Training wollte, und zwar vor vorgestern. Es ging da um eine private Geschichte, die ich jetzt nicht teilen will. Aber ich hatte Schwierigkeiten mit einem Gefühl und manchmal habe ich in so einem Moment eine Eingebung und muss das aufschreiben oder aufnehmen. Meistens probiere ich das sofort am Klavier aus, um das Gerüst für das Lied zu haben und den Rest merke ich mir dann. Meistens passiert mir das beim Sport, beim Fahrradfahren oder Schwimmen, weil das repetitive Beschäftigungen sind und wenn mich etwas bewegt, dann muss das irgendwie raus.
Julie: Das kenne ich! Mir fallen beim Sport auch Sachen ein! Ich würde gerne noch wissen, gibt es noch andere Themen, die dir wichtig sind, die aber noch nicht in deinen Songs vorgekommen sind?
Haszcara: Ich spreche im Allgemeinen über Themen, die mich persönlich bewegen und ich würde gerne mehr über Transphobie und soziale Ungerechtigkeit sprechen. Es wird aktuell das sogenannte „Transsexuellengesetz“ diskutiert, obwohl der Begriff schon falsch ist.
Julie: Was ist denn für dich aktuell die größte soziale Ungerechtigkeit in Deutschland, über die mehr geredet werden müsste?
Haszcara: Oh je, die WICHTIGSTE?!
Julie: Such dir eine aus, die du wichtig findest.
Haszcara: Nur eine Ungerechtigkeit? Das ist wirklich schwierig! Das ist eine Fangfrage, denn, egal was ich jetzt sage, wird sich jemand angegriffen fühlen, warum ich nicht ein anderes Thema nenne. Außerdem bin ich zwar politisch engagiert, aber kenne mich schlecht mit der tagesaktuellen Politik aus. Aber sagt das niemandem … Also es beschäftigt mich, dass das Schulsystem in Deutschland echt verbesserungsbedürftig ist.
Jasmin: Was findest du beim Schulsystem besonders verbesserungsbedürftig?
Haszcara: Es geht schon damit los, dass jedes Bundesland eine eigene Regelung hat und die Schule in jedem Bundesland ganz anders ist. In Niedersachsen, wo ich herkomme, wird, wenn du gerade einmal zehn Jahre alt bist, entschieden, ob du auf eine Haupt- oder Realschule oder ans Gymnasium kommst. Die Hauptschule gilt dann als die Schule für die „schlechten“ Schüler und das Gymnasium ist für die „Elite“. Das ist viel zu jung, um so eine Entscheidung über ein Kind zu treffen. Vor allem weil man da sieht, wer zuhause Unterstützung bekommt, das hat nichts mit dem Kind selbst zu tun. Dann spielt eine Rolle, ob die Kinder einen deutsch klingenden Namen haben, diese gibt es mehr im Gymnasium, als Kinder, bei denen man vom Namen her denken könnte, es hätte Migrationshintergrund. Rassistische Ressentiments spielen da definitiv eine Rolle, dazu gibt es auch mittlerweile Studien. Weiter sind die Klassen viel zu groß. Die Lehrer:innen können da gar nicht richtig arbeiten.
Jasmin: Darüber haben wir auch im Unterricht viel gesprochen, weil das so wichtig ist.
Haszcara: Ja, voll. Mir ist aber auch das Thema Umwelt sehr wichtig. Ich habe zwar schon einen Song so ein bisschen über Umwelt gemacht, aber da würde ich mich gerne mehr engagieren. Nachhaltigkeit beschäftigt mich wirklich gerade sehr, weil ich nicht verstehen kann, wie die Ressourcen ausgeschöpft werden und nichts gemacht wird! Gerade wenn man sich die Prognosen zum Klimawandel ansieht, dann muss man doch verstehen, dass es nicht mehr lange gut gehen wird.
Jasmin: Schön, dass wir grad über so deepe Gedanken reden können. Das ist auch, was den Studierenden an deiner Musik so gut gefällt.
Haszcara: Danke! Das ist lieb! Grundsätzlich repräsentiert für mich meine Musik eine Art Heilung von psychischen Krankheiten, Depression zum Beispiel und die Heilung, das Wachsen daraus, bis zu Punkten in der Zukunft, wo ich vielleicht selbst noch gar nicht bin. Ich habe tatsächlich auch noch einige Songs über Beziehungen geschrieben, weil das bisher in den veröffentlichten Songs noch keine wirkliche Rolle gespielt hat. Diese Entscheidung habe ich bewusst getroffen, weil sich viel Musik von weiblichen Künstler:innen um, und dann meistens Hetereo-, Beziehungen dreht. Für mich selbst hatte ich da nicht so viel Lust darauf, dass es auch so aussieht, und ich hatte auch nicht wirklich den Kopf für dieses Thema. Mittlerweile sehe ich es so, dass Beziehungen ein Thema ist, das alle Menschen beschäftigt. Deshalb will ich dazu was machen, mit dem gewohnten „Haszcara-Blick“, natürlich.
Jasmin: Das ist das Wichtigste! Dass man in seiner Musik authentisch bleibt und sich ausdrückt! Würdest du sagen, dass Musik für dich auch wie ein Tagebuch ist?
Haszcara: Absolut!
Jasmin: Wäre es nicht einfacher, über belanglose Dinge zu schreiben?
Haszcara: Bei mir ist es ganz anders! Ich finde es total schwer, über belanglose Dinge zu schreiben! Party-Songs zu schreiben, das würde mir voll schwerfallen. Wenn ich mit anderen ein Konzert mache, dann fühle ich mich oft schlecht, weil ich keine Mitmach-Party-Songs habe! So etwas kann ich, wenn überhaupt, nur mit Leuten zusammen machen, oder ich muss in der richtigen Stimmung sein. Aber irgendwie kann ich nicht anders. Für mich ist Musik einfach Therapie, oder wie du sagst, ein Tagebuch. Es ist, den Gefühlen einen Ausdruck zu geben. Ich habe einfach mehr Gefühle über Ungerechtigkeit oder Gefühle, die weh tun. Ob es um mich geht, oder um Freunde, wenn es ein Thema ist, das mir wichtig ist, dann tut das zu sehr weh und dann endet es einfach in einem nachdenklichen Song. Ich mache das nicht bewusst so. Ich kann nicht anders!
Vielen Dank an Julie Assel, Studierende im zweiten Bachelorjahr in Medizin mit Deutsch, an der Université de Bourgogne, Dijon. Julie hatte den Mut, die Fragen, die die Studierenden im Seminar “Deutscher Hip Hop” im 3. Bachelorjahr erarbeitet haben, an die deutsche Rapperin Haszcara zu stellen. Mein Dank gilt also auch der Seminargruppe, die einige der Fragen vorbereitet hatte.
Haszcara bei ihrem Label Audiolith