Review: Epica Omega
Der instrumentale Auftaktsong könnte der Soundtrack eines großartigen Fantasy-Films sein! Die mittelalterlichen Weisen setzen sich dann auf den E-Gitarren in „Abyss of Time – Countdown to Singularity“ fort. Hier greifen Epica auch zu gewohnten Zutaten: tiefe Growls von Mark Jansen im Kontrast zu Simone Simons zartem Soprangesang. Im Hintergrund hämmern Bass und Schlagzeug, wogegen sich Orchester und Chor in weichen, langgezogenen Melodiebögen an die Ecken und Kanten des Metal schmiegen. Zur Mitte des Songs dimmt sich die Band von der Intensität runter, während Mark in Chronistenstimme ansetzt, die Story, die dem Album zu Grunde liegt, zu erzählen: „In the beginning, there was a timeless nothingness and into this nothingness came a thought …“. Leider gab uns das Label nicht die Lyrics zur Rezension, was sehr schade ist, denn Songwriter Mark Jansen legt viel Wert auf die Inhalte seiner Lieder… Ein abwechslungsreich komponierter erster Song ist es trotzdem.
Darauf folgt „The Skeleton Key“, was in einer grimmigen Grundstimmung beginnt. Im Intro und in der ersten Strophe bauen Epica ziemlich Spannung auf, zerbrechliche Klaviertöne tänzeln über elektronische Beats, epische Chorale und Mark Jansens aggressivem Growl. Simone Simons setzt mit einer prägnanten abgehackten Melodie in einer ungewöhnlichen Tonleiter fort. Leider enttäuscht der Refrain von „The Skeleton Key“, er klingt einfach zu sehr wie etwas, was Epica (und auch Mayan, ebenfalls unter der Feder von Mark Jansen) schon paarmal geschrieben haben. Das reißt auch der gespenstische Kinderchor kurz vorm Gitarrensolo nicht raus. Auch im sich anschließenden „Seal of Solomon” lösen die Chorparts Déjà Entendus aus. Weiterhin kommt hier ein beliebtes musikalisches Thema von Epica rein, und zwar der Mix mit „orientalischen“ Harmonien und Instrumenten mit europäischem Symphonic Metal. Neu ist, dass sich diesmal Simone Simons an etwas versucht, was an arabischen Vierteltongesang erinnert, was ziemlich cool ist. Ein anderes Thema, was momentan wohl einige Bands beschäftigt, ist Mutter Erde, besonders in der Repräsentation als die griechische Göttin Gaia, die wir schon in Nightwish’s „The Greatest Show On Earth“, sowie ihrem HVMAN :II: NATVRE Album finden, wie auch in Temperances Album Viridian, nicht wörtlich genannt behandelt auch der Song „Perennial“ von Jinjer dieses Motiv. Interessant ist bei Epica, dass sie die Bezüge zur griechischen Mythologie eben mit einer anderen (Musik-)Kultur des Mittleren Ostens kombinieren. Es ist auch sehr abwechslungsreiches Lied, innerhalb der 4:47 Minuten gibt es einige schöne Rhythmus- und Stilwechsel und Melodieentwicklungen. „Code of Life” erweitert den musikalischen Orient um indische Elemente auf der Tabla und der Sitar, die Niederländer schaffen es, dieses Potpourri ohne Kitsch und in sich abgerundet zu präsentieren. „Code of Life“ könnte ein SKULL NEWS Liebling auf Omega werden. Auch textlich finden sich einige Epica-typische Wiederkehrer auf dem Album: Schlagworte wie „Freedom“, „Kingdom“, „Creation“, und die Frage nach der Essenz des Lebens dürfen nicht fehlen. Dies sind wohl die großen Fragen, die Komponist Mark Jansen nachts wachhalten.
Der Anfang des Lieds „Kingdom of Heaven prt. 3 – The Antediluvian Universe” ist einer der schönsten auf Omega, und ja, gute Intros sind wichtig! Epica erschaffen in diesem über 13 Minuten langen Song ein ganz eigenes auditives Universum. Monumentale Klangwelten berauschen uns und erzeugen vor dem inneren Auge farbenprächtige Vorstellungen von Heldenabenteuern und Reisen in unbekannte Gefilde. Ein bisschen fehlt dem Refrain zwar die Kraft, aber alles in allem ist „Kingdom of Heaven prt. 3 – The Antediluvian Universe“ ein genial komplexes, spannend komponiertes Meisterwerk inklusive großartig virtuoser Gitarrensoli UND einem futuristischen Keyboardsolo von Coen Janssen. Die Notiz „prt. 3“ weist darauf hin, dass es in der Tat der dritte Teil eine das Werk von Epica überspannenden Geschichte ist. Es ist die Vorstellung, dass es irgendwas zwischen Himmel und Erde geben muss, von dem wir noch nichts ahnen. Das Album schließt auch den Kreis, der von den vorigen Alben The Quantum Enigma und The Holographic Principle aufgemacht wurde und in denen Epica bereits essentielle Fragen an die Metaphysik stellen. Der Titel Omega bezieht sich auf die Omegapunkt-Theorie, wonach zwar alles in Kreisläufen geschieht, wie die Jahreszeiten, Tag und Nacht, aber alles steuert einem „Omegapunkt“ zu, ausgehend vom Alpha-Punkt des Urknalls. Wie gesagt, um mehr zu erfahren, sollte man sich die Lyrics ansehen!
Eine Überraschung ist „Rivers“, eine zutiefst melancholische Ballade mit sehr ungewohnten Harmonien und Melodien. Die anklagende, emotionale Stimme von Simone Simons geht unter die Haut, während einem Schauer über den Rücken laufen, als wieder der Kinderchor einsetzt. Auch harmonieren in „Rivers“ die Band und der gigantische Überbau aus Orchester und Chören richtig gut. Für SKULL NEWS ist „Rivers“ ganz klar der Top Favorit auf Omega.
Man kann Omega zusammenfassen als die Essenz von Epica, da ihr neues Album alle musikalischen und thematischen Elemente enthält, die man von der Band erwartet. Dies ist einerseits der Schwachpunkt des Albums, da es nicht unbedingt mit großen Neuerungen im Sound der Band und in den Songtexten aufwartet. Einige Lieder haben wir hier gar nicht besprochen, weil sie nicht so im Ohr hängen geblieben sind. Die Wiedererkennbarkeit ist andererseits ein großes Lob, denn mit Omega erschaffen Epica erneut ein eigenes unendlich großes Klang-Universum, sie haben auch ganz klar ihren Stil und ihre Dynamik als Band gefunden. An Omega haben alle Bandmitglieder in einer Art Bandcamp gemeinsam geschrieben, das erste Mal seit langer Zeit, denn sonst kommen normalerweise die Kompositionen eher vom Kern der Band. So klingen Epica in Omega sehr stark als Einheit und beweisen erneut, warum sie nach wie vor und unverändert eine der bedeutendsten Gruppen im Genre Symphonic Metal sind. Ob Omega aber an den Erfolg von The Quantum Enigma, The Divine Conspiracy oder Design Your Universe, welche immer wieder als die besten Epica Alben genannt werden, heranreichen wird, werden wir in den nächsten Monaten nach dem Release am 26. Februar 2021 sehen. SKULL NEWS hält euch auf jeden Fall auf dem Laufenden!
Tracklist: Epica Omega (26. Februar 2021, Nuclear Blast)
01 – Alpha – Anteludium
02 – Abyss of Time – Countdown to Singularity
03 – The Skeleton Key
04 – Seal of Solomon
05 – Gaia
06 – Code of Life
07 – Freedom – The Wolves Within
08 – Kingdom of Heaven prt. 3 – The Antediluvian Universe
09 – Rivers
10 – Synergize – Manic Manifest
11 – Twilight Reverie – The Hypnagogic State
12 – Omega – Sovereign of the Sun Spheres
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