Review: NANOWAR OF STEEL – Italian Folk Metal
Wenn dich jemand fragt, Wer oder Was sind Nanowar Of Steel, werden es dir die verrückten Italiener nicht leicht machen. Zu abgedreht und gleichzeitig genial witzig und kreativ ist ihr Repertoire – und schwer zu begreifen ist ihr Auftreten. Ich werde es trotzdem versuchen, für alle SKULL NEWS Leser*innen, die Nanowar Of Steel noch nicht kennen! Ich habe die Band auf dem kleinen Festival Rising Fest 2019 in Longvic in Frankreich zum ersten Mal gesehen, wo sie das überwiegend aus harten Kerlen bestehende Publikum in kürzester Zeit mit ihrer albernen, gewollt queeren Performance zum fröhlichen Abfeiern antrieben. Im Gedächtnis ist mir von dem Abend nicht nur die „Wall of Love“, sondern auch die Polonaise zu „Norwegian Reggaeton“, bei der besagte Alphamännchen sich begeistert in die Arme fielen, knuddelten, manche sogar knutschten und mit den Hüften wackelten. Musikalisch beeindruckten mich Nanowar Of Steel, da sie bei all der Blödelei und Rumturnerei auf der Bühne doch versiert auf ihren Instrumenten abrockten und virtuosen Powermetal ablieferten. Nicht nur das, da werden munter bekannte Popsongs vermischt mit Raggaeton, kombiniert mit auf die Spitze getriebenen Powermetal, Piratenmetal, Black Metal und natürlich wird die ernsthafte Rezeption nordischer Mythologien auf’s Korn genommen. So kommt ein wilder Musikmix raus, der sowohl die Lachmuskeln als auch die Beine verausgabt. Man kann sich dem geballten Witz von Nanowar Of Steel und der mitreißenden Performance nur schwer verwehren, außer man gehört zu den eher humorlosen Juror*innen von España Got Talent (hier geht’s zum Video der Audition von 2019), die teilweise schon bei Vorstellung der Band als „Metalton“-Band den Buzzer drückten. Das Publikum dagegen scheint Spaß zu haben, und das zu Recht. Die Lyriks von Nanowar Of Steel schwanken von Fäkalhumor, zu die genderstereotypen der Metalwelt ins Wanken bringenden Späßen über den Männlichkeitskult und Klischees vom Sexgottdaseins von Rockstars hin zu pointierten Hieben gegen die Ernsthaftigkeit des Trve-Metals und zu politischer Satire. In ihren vorigen sechs Studioalben bleiben kein Stereotyp und kein Genre verschont. Entsprechend gespannt war ich seit dem spaßigen Gig auf dem Rising Fest, ob die Italiener bald ein neues Album rausbringen würden, besonders, als in den letzten Monaten vereinzelte Musikvideos veröffentlicht wurden. Anfang des neuen Jahres kündigten dann Nanowar Of Steel an, den Metal hinter sich lassen zu wollen und als Italopop-Band weitermachen zu wollen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Zum Glück stellte sich das dann doch als großer Gag heraus – doch so ganz falsch war die Ankündigung nicht, denn mit ihrem neuen Album Italian Folk Metal nehmen sie ja musikalische Traditionen ihrer Heimat in ihr Spektrum an Metal-Subgenres auf, was nur eine weitere von vielen Entwicklungen der Band darstellt. Immerhin sind Nanowar Of Steel schon seit 2003 aktiv, ursprünglich gegründet als Nanowar, was eine klare Verballhornung der amerikanischen Metal-Legenden Manowar darstellt, samt des Images, mit dem diese auftreten. 2006 ergänzten die Musiker aus Rom „Of Steel“ zu ihrem Namen, als Augenzwinkern in Richtung der italienischen Power-Metal-Größe Rhapsody Of Fire. Begründet auf ihrer musikalischen Finesse und ihren cleveren Witz haben Nanowar Of Steel von Anfang an kontinuierlich steigenden Erfolg und auch nach 18 Jahren sind die Jungs keinen Deut langweilig geworden. Im Gegenteil, mit Italian Folk Metal zeigen sie sich genauso bissig, witzig und innovativ. Das ist eine große Leistung, denn gerade im Comedy-Bereich ist oft schnell die Aufmerksamkeit des Publikums ausgereizt, wodurch man als Künstler*in gefordert ist, sich immer wieder neu zu erfinden. Und gerade mit Italian Folk Metal scheinen Nanowar Of Steel nochmal eine Schippe drauf zu legen. Sie beweisen nicht nur, dass ihr unverwechselbarer Sinn für Humor nicht eingerostet ist, sondern dass sie darüber hinaus auch talentierte Musiker sind, denn sie integrieren die italienische Folklore mit Leichtigkeit, sodass ein sehr eingängiger, und doch virtuoser Mix entsteht, der locker ein eigenes Subgenre von Folkmetal begründen könnte. Wollt ihr Black Metal Blast-Beats kombiniert mit folkigen Fiddletunes und symphonischen Chorälen ? – Ja bitte! Unterstützt von Schlagzeuger/Gitarrist/Sänger Francesco Paoli von Fleshgod Apocalypse geht „L’Assedio di Porto Cervo“ ordentlich ab.
Der Puls bleibt auch im folgenden Song „La Maledizione di Capitan Findus“ (die italienische Version des Songs, der auch auf Deutsch auf dem Album zu finden ist). Hier steht das virtuose Akkordeonspiel im Vordergrund, dessen rasenden wie eingängigen Melodien die Stimmung anheizen. Der mehrstimmige epische Gesang im Refrain macht uns Lust auf Mitgrölen, in der deutschen Version des Songs, „Der Fluch des Käpt’n Iglo“ können wir das dann auch in unserer Muttersprache tun. Sänger und Bassist Gatto Panceri 666 glänzt hier mit seiner Mehrsprachigkeit und wir verstehen immerhin den Humor des Songs: „Der Fluch des Käpt’n Iglo“ ist eine geniale Kritik an Raubtier-Kapitalismus, Ausbeutung der Fischgründe und die industriellen Fangmethoden, die gerne mal mit Weltkriegs- und Massenvernichtung verglichen wird. Ein ganz schön frecher Text, bei dem einem das Essen – und das Lachen – teils im Hals stecken bleibt. So eine Art Comedy würde von deutschen Künstler*innen als grenzwertig angesehen. Allerdings sind Nanowar Of Steel weit von Unsinn entfernt und ihre Gesellschaftskritik kommt pointiert genug rüber, ohne dass es belehrend oder schwer wirkt. Ganz im Gegenteil können wir gut gelaunt mitlachen. SO geht gute Satire! Übrigens stellen beide Songs eine gelungene Kombination von eher nordischem Piratenmetal und italienischer Tanzmusik dar. In „La Mazurka del Vecchio che Guarda i Cantieri“ kommt dieser Heavy Metal Twist von traditionellen Melodien, Instrumentierungen und Arrangements besonders gut rüber. Auch zeigen Nanowar Of Steel auf dem Album im Ganzen und in diesem Lied im Besonderen, die Vielfalt an Rhythmen in der italienischen Folklore, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Jeder Song bleibt unverkennbar ein Nanowar Of Steel Song. Richtig schön zur Geltung kommt dies im Solo-Duo aus virtuosem Akkordeon – und E-Gitarrenspiel. Mit dabei ist übrigens auch Alessandro Conti von Luca Turilli’s Rhapsody und Trick Or Treat.
Im Musikvideo zu „La Polenta Taragnarock“ machen sich Nanowar Of Steel nicht nur über die übermäßige Repräsentation keltischer und skandinavischer Kulturen im (Folk-) Metal lustig, sondern auch über provinziellen Lokalstolz und die Identifikation mit so etwas Banalem wie einem regionalen Gericht wie die Polenta, welche ursprünglich ein Arme-Leute-Essen war und nun als Delikatesse vermarktet wird. Nach diesem gewollt schwülstigen Abpausebild von pseudo-mittelalterlichem, pseudo-authentischen, Folkrock/ -metal nimmt die Band in „Scugnizzi of the Land of Fires“ mehr elektronische Elemente auf, auch wird es ungewohnt ruhig. Schnell wird klar, dass Nanowar Of Steel sich mit schmalzigem Gesang, welcher krass im Kontrast zum rasenden Schlagzeug seht, gewaltig über die großen Gefühle lustig machen, die der eine oder andere epische Metal-Song hervorrufen kann. Und wo wir gerade bei Schnulzen sind, wird ganz klar der König des italienischen Herzschmerzes, Eros Ramazzotti, in „Rosario“ parodiert. Für diese stimmgewaltige Ballade holen sich Nanowar Of Steel die Sängerin Jade von Frozen Crown mit ins Boot, welche zu einer der besten weiblichen Stimmen im Powermetal zählt. A match made in heaven! Es wäre erschöpfend über jedes Lied auf Italian Folk Metal etwas zu sagen, denn sie sind durchweg hervorragend und machen eine Menge Spaß. Neben vielen anderen Highlights auf dem Album sticht der letzte Song heraus. Der spanische Song „El Baile del Viejo que mira las Obras“ verbindet erneut die Folklore der Heimat der Jungs mit Heavy Metal, doch eben mit einem spanischen Songtext. Nanowar Of Steel haben diesen verrückten Mix super drauf und sowohl der deutsche als auch der spanische Text kommen fast akzentfrei rüber. Dennoch ist das Album voll und ganz der musikalischen Tradition und der eigenen Sprache gewidmet. Italienisch hat eh schon international den Ruf, eine schön klingende Sprache zu sein und diesem Klischee machen Nanowar Of Steel auf ihrer neuen Platte alle Ehre. Schade, dass uns im Pressekit vom Label die Lyrics nicht mitgeliefert wurden, denn Nanowar Of Steel sind bekannt für ihren vielschichtigen Humor. Von derbem Fäkal- und Sex-Humor zu Insiderhumor, frechen Wortwitzen hin zu pointierten Referenzen auf Kultur, Religion, Politik und Historie ist bei den musikalisch extrem albern wirkenden Songs stets ein echter komödiantischer Tiefgang vorhanden. Wir gehen einfach mal davon aus, dass es auf dem neuen Album ebenfalls so ist. Wer nicht unbedingt Italienisch beherrscht, kann trotzdem einfach die mitreißenden Melodien mitgrölen und abfeiern, denn immerhin sind diese aus der italienischen Folklore geborgt und diese ist zuallererst Tanz- und Festmusik. Mazurka und Co machen einfach gute Laute und Nanowar Of Steel werden mit diesen Krachern sicher die Massen zum Tanzen bringen, und dies zu ganz unterschiedlichen Rhythmen und Feelings – die italienische Folklore hat eine große Vielfalt zu bieten, die uns die Band auf ihre freche und unterhaltsame Art und Weise näherbringen. Im skandinavisch, germanisch, irisch, finnisch dominierten Genre des Folkmetal ist diese stolze Präsentation italienischer Folklore erfrischend neu und innovativ! Immerhin gibt es auf der ganzen Welt Fans, die wegen ihrer Idole Finnisch, Schwedisch, Gälisch oder Deutsch lernen, sich mit dem Kalevala oder der Edda beschäftigen, oder traditionelle Instrumente wie Dudelsack, Kantele oder Flöte lernen. Vielleicht stößt ja Nanowar Of Steel mit ihrem Italian Folk Metal Album einen Trend an, dass sich Metalheads beginnen, mit italienischer Kultur, Musik und Sprache vertraut zu machen.
Mit Italian Folk Metal werden Nanowar Of Steel sicher so einige neue Fans gewinnen, immerhin macht das Album Lust auf Sommer, Urlaub im Süden, sich bei zu viel Rotwein hinter den Dünen zu betrinken und zu verlieben, Head bangend versteht sich, lauthals mitzusingen und mit anderen Metalheads abzufeiern und sich bei „Walls of Love“ in die Arme zu fallen. Cin Cin!
Tracklist: Nanowar Of Steel „Italian Folk Metal” (2. Juli 2021, Napalm Records)
01 – Requiem per Gigi Sabani in Re minore
02 – L’Assedio di Porto Cervo
03 – La Maledizione di Capitan Findus
04 – La Marcia su Piazza Grande
05 – La Mazurka del Vecchio che Guarda i Cantieri
06 – La Polenta Taragnarock
07 – Scugnizzi of the Land of Fires
08 – Rosario
09 – Il Signore degli Anelli dello Stadio
10 – Gabonzo Robot
11 – Sulle Aliquote Della Libertà
12 – Der Fluch des Kapt’n Iglo
13 – El baile de los Viejo que Mira las Obras
Nanowar Of Steel sind:
Gatto Panceri 666 – Bass
Potowotominimak – Gesang
Mr. Baffo – Gesang
Abdul – Gitarre
Uinona Raider – Schlagzeug