Review: Messer Chups New Wave Or Surf Wave


Seit zwanzig Jahren surfen die Messer Chups auf der Erfolgswelle und sind bis heute eine der erfolgreichsten Surf Rock Bands. Diese Anerkennung haben die aktuell drei Musiker*innen aus Sankt Petersburg, Russland, Oleg Gitaracula (Oleg Fomchenkov, Gitarre), Zombierella (Svetlana Nagaeva, Bass, Gesang) und Rockin Eugene (Evgeny Lomakin, Schlagzeug), sich durch häufige Touren und Konzerte, sowie regelmäßige Studio-Aufnahmen und humorvolle Videos erarbeitet. Das Subgenre des Surf Rock haben Musikhörer*innen im Mainstream hauptsächlich durch den Soundtrack von Pulp Fiction im Ohr, man denke an Misirlou und Surf Rider – komplett tot gehört – und doch gibt es in dieser kleinen aber feinen Szene eben so ungewöhnliche Bands wie die Messer Chups. Seit ihrer Gründung im Jahre 2000 fallen die Russ*innen mit ihrem kreativen Mix aus Surf mit Jazz, Samples aus klassischer Musik (wie Tschaikowski!) und B-Movie-Soundtracks, der flirrenden Theremine und anderen Synthesizer-Effekten sowie spooky Referenzen auf Horror und Grusel auf.
Ursprünglich bestanden die Messer Chups nur aus zwei Personen, Oleg Gitarkin und Annete Schneider, welche die Surf Rock-Band eher als ein Spin Off ihrer anderen Band Messer für Frau Müller laufen ließen. Drei Jahre später kam die bekannte Theremin-Spielerin Lydia Kavina dazu, mit der sie ihre ersten Alben herausbrachten. Einige Wechsel in der Bandzusammensetzung später bestehen die Messer Chups nun seit 2015 aus den drei genannten üblichen Verdächtigen und dabei hat sich ganz besonders Bassistin Zombierella stark weiterentwickelt. Als ich die Band 2010 das erste Mal live gesehen habe, in der Haifischbar in Augsburg, erschien Svetlana mir noch etwas schüchtern und gehemmt. Doch Zombierella hat sich mittlerweile gemausert! Sie spielt ihr Instrument auf eine ganz eigenwillige und doch elegante und effiziente Weise und ist damit, sowie natürlich durch ihre Attraktivität und vor allem ihrem Witz und ihre Performance zum Publikumsliebling geworden. Im Schnitt veröffentlichen die Messer Chups mindestens alle zwei Jahre neue Musik auf Platte und gerade brachten sie ihr neues sechs Lieder langes Album New Wave Or Surf Wave heraus – wenn das nicht eine freche Attacke auf die Covid-Schlechte-Laune ist! Dieses kurze aber sympathische Album ist Inspiriert von den Lieblingsmusikern der 80er Jahre. Für die Band ist es eine großartige Musikepoche und sie wollen die großen Idole nun in den Surf Rock bringen. Bis auf einen Song sind alle Lieder auf New Wave Or Surf Wave voll instrumental, bis auf „Electric Zombierella“. Neben ikonischen 80er-Hits hören wir ein Cover eines bahnbrechenden Tracks der späten 70er sowie einen Hit von 1990. Das Jahrzehnt haben die Messer Chups also etwas großzügiger bemessen. Alles in allem ist New Wave Or Surf Wave eine typische Messer Chups-Scheibe, entspannt, atmosphärisch, aber verspielt und doch sehr melancholisch – SKULL NEWS stellt sie euch hier vor.

Tracklist: Messer Chups New Wave Or Surf Wave (4. Dezember 2020, Missing Fink Records)
01 – Enjoy the silence
02 – Love will tear us apart
03 – Wicked Game
04 – Electric Zombierella
05 – Das Model
06 – Flash in the night
“Enjoy the silence” hängt voller Schwermut und Melancholie in der Luft, und ist dennoch so mega cool und entspannt. Da bleiben Messer Chups stimmungsmäßig nah am Original von Depeche Mode. Neu ist natürlich, und das ist ja der Spaß dahinter, die Umsetzung der fast nur auf elektronischen Instrumenten basierenden ursprünglichen Nummer auf analogen Instrumenten und die Übertragung in den Surf Rock. Guter Auftakt! „Love will tear us apart” setzt auf den Gegensatz, dass es wesentlich fröhlicher als der vorige Track ist und dennoch singen wir alle im Kopfe die Lyrics mit, die von Trennung und Schmerz handeln. Verspielt und mit fast kindlicher Freude wird die Hauptmelodie des Songs in den verschiedensten Versionen und Höhen durchprobiert: in den für den Surf typischen Tremolos, Harmonisierungen mit dem Bass und einer zweiten Gitarre. Immer wieder wird der Melodielauf von Rolls auf Becken und Snaredrum unterbrochen und man lässt die Akkorde lange nachhallen. Der Originalsong von Joy Division ist natürlich Kult, doch bringen Messer Chups mit ihrer Reverb-lastigen Variante den Evergreen erneut zum Strahlen. “Wicked Game” ist danach wieder ein sehr ruhiger und wehmütiger Track, in welchem die Messer Chups nicht wie im Lied zuvor nur die Chorusmelodie wiederholen, sondern die kompletten Strophen und Refrains, alles was gesungen wäre, dieses ikonischen Songs instrumental umsetzen. Bereits der Klassiker von Chris Isaak hat eine starke Nähe zum Surf Rock vorzuweisen, doch treiben es Messer Chups konsequent auf die Spitze. Auch huldigen sie der bereits im Original vorhandenen ambivalenten Stimmung aus Romantik, Verführung und Nostalgie. In “Electric Zombierella” darf Bassistin Zombierella auch mal singen. Dabei hat sie ihre fast gelangweilte, emotionslose Gesangsart perfektioniert. Sie spielt mit dem Image der lebendigen Toten, was sowohl ihr Künstlerinnenname als auch die Lyrics dieses Songs schön zeigen. Doch dazu bringt Svetlana „Zombierella“ Nagaeva auch einige schöne Bassriffs rüber. Zur Standardbesetzung der Band kommt hier noch ein Saxophon hinzu, macht auf jeden Fall gute Laune!

„Das Model“ schließt sich sicher nicht zufällig an, ist doch Zombierella auch ein Alternative Model und ein echter Hingucker auf der Bühne. Doch hier in dieser Surf-Version des Klassikers von Kraftwerk steht musikalisch die Kreativität von Oleg Gitaracula im Vordergrund. Dem Mastermind der Messer Chups gehen die Ideen für neue Varianten der simplen Schlüsselmelodie nicht aus. Oleg zeigt so die Innovation der Messer Chups in einem sehr traditionellen Musikgenre, was sicher für ihren langen und großen Erfolg in der Szene sorgt! „Flash in the night” startet mit gekonnten Trommelwirbeln von Rockin Eugene durch. Insgesamt nimmt die Komplexität der Lieder vom ersten zum letzten zu, und ja, der Sound, den die drei Russ*innen machen, ist für eine sehr straighte und simple Musik wie Surf Rock durchaus komplex. Obwohl man hört, dass sie sich für die Studioaufnahmen eine zweite Gitarrenspur gönnen, was in keinster Weise die Bewunderung für die Fingerfertigkeit und Kreativität von Oleg Gitaracula an der Gitarre schmälern soll! „Flash in the night“ ist ein weiterer Klassiker aus den 80ern, original von Secret Service und stark elektronisch aufgeladen. Die Messer Chups Version ist deutlich frecher und hat mehr Drive, die Rockinstrumente stehen mehr im Fokus. Eine schöne Neuauflage!
Durch und durch bleiben sich Messer Chups nach all den Jahren mit New Wave Or Surf Wave treu. Ihr Sound ist nach wie vor unverwechselbar: den Reverb ordentlich aufgedreht, den Tremolohebel exzessiv eingesetzt, gemutete Pickings im Kontrast zu perlenden Akkordarpeggios, das Schlagzeug ist einfach aber effektiv, wenig bassbetont, mit vielen scheppernden Beckenakzente und der für den Surf Rock typische Boom-Chicka-Boom-Rhythmus gespielt. Auch das Konzept ist wenig verändert worden. Die Messer Chups nehmen sich gerne bekannte Songs vor, um diese in Surf Rock zu verwandeln. Am liebsten covern sie Lieder, die von den Lyrics her nicht unbedingt zum Thema Strand, Wellen und Sonne passen, und versehen sie mit einer tiefen Schwermut und Melancholie. Trotzdem haben die Messer Chups einen gewissen Witz und Hang zu morbiden Stilelementen und Referenzen zu frühen Horrorfilmen, es gibt also immer ein spooky Unterton. Und so bringen die Messer Chups doch immer wieder neue Impulse in den Surf Rock!
Das Album New Wave Or Surf Wave von Messer Chups findet ihr zum Beispiel auf Bandcamp.