Review: Albireon/Zeresh – No Longer Mourn For Me
Eine höchst interessante italienisch-israelisch-spanische Co-Produktion aus dem Dark Folk/Doom-Sektor erreicht uns mit No Longer Mourn For Me.
Albireon aka Davide Borghi und seine beiden Mitstreiter sind seit mehr als zwanzig Jahren aktiv und haben mehr als zwei Dutzend Veröffentlichungen unter eigenem Namen als auch als Beiträge zu Compilations in italienischer und englischer Sprache auf ihrem Konto.
Zeresh, der weibliche Gegenpol dieses Projekts, ist das alter ego von Tamar Singer, die seit einigen Jahren in Israels Independent-Szene mit ihrem Atmospheric Dark Folk sehr erfolgreich ist und nicht nur Zeresh, sondern auch Cruel Wonders verkörpert, und mit ihrem Mann – Michael Zolotov von Kadaver – ein Album als Necromishka aufgenommen hat. Zudem ist sie Teil von Autumn Tears, einem neoklassischen multinationalen Konzept.
Die beiden Projekte haben sich für ihr bereits 2019 aufgenommenes Album im Split-Verfahren hälftig aufgeteilt. Während Albireon in ihrem Block vorwiegend allein agieren oder mit Zeresh duettieren, hat sich Zeresh durchgängig Verstärkung am Mikrofon geholt – zwei Titel allein mit Davidavi Dolev, der nicht nur Subterranean Masquerade und Gunned Down Horses vorsteht, sondern gerne auch Freunde unterstützt (wie unter anderem Rasha Nahas), dann noch Pablo C. Ursusson von Sangre de Muerdago und als Abschluß auch einen Titel mit dem bereits erwähnten Michael Zolotov.
Das von Marco Valenti gestaltete Cover, in sanften Brauntönen gehalten und ein Herbstblatt abbildend, läßt erahnen, wohin die musikalische Reise geht. Keine Novemberdepressionen, sondern Oktobermelancholie, noch genügend wärmende Sonnenstrahlen einfangend, aber schon die Schwere des zur Neige gehenden Jahres fühlen lassend.
Tracklist Albireon/Zeresh – No Longer Mourn For Me (4. Mai 2021, Toten Schwan Records)
01 – Albireon – Heartbroken Remembrance
02 – Albireon – A Withered Kingdom
03 – Albireon – The Day You Poured Your Wasted Dreams In My Heart
04 – Albireon – My Lazy Triumph
05 – Zeresh feat. Davide Borghi – Air From Afar
06 – Zeresh featuring Davidavi Dolev – The Vague
07 – Zeresh featuring Davidavi Dolev – Halls Grew Darker
08 – Zeresh featuring Pablo C. Ursusson – No Longer Mourn For Me when I’m Dead
09 – Zeresh featuring Michael Zolotov – The Aftermath (If I Shall Meet Thee)
Die Songs lassen in ihrer Atmosphäre diese Art Träume aufleben, die nach dem Aufwachen nur noch fragmentarisch greifbar sind und die auf emotionaler Ebene widerhallen. Die unerfüllte Sehnsüchte transportieren. Der Schmerz, wenn du morgens aufwachst und realisierst, deine Liebe ist gegangen. Auch wenn du nachts noch von ihr geträumt hast und sie die Hand nach dir ausgestreckt hat, und du sie nicht erreichen konntest, sie dir entglitt.
In den Duetten wird die reizvolle Brüchigkeit aufgegriffen, indem die Stimmen der Partner nicht immer synchron laufen, bestenfalls parallel, weitestgehend mäandernd und oft minimal zeitversetzt, so daß die Worte nicht gleichzeitig beendet werden. Man trifft sich, berührt sich, trennt sich. Liebe, Schmerz und Verlust sind ohnehin nicht perfekt.
Trotz aller Effekte wie Hall, Multispuren und Verzerrung der Stimmen ist der Sound nicht überfrachtet, die Instrumente werden geschmackvoll eingesetzt, die akustischen Gitarren überwiegen; es fällt leicht, sich in den sphärischen Weiten treiben zu lassen.
Wir gehen hier auf einige Stücke genauer ein:
„Heartbroken Remembrance“ gibt die Marschrichtung vor – ein Duett in getragenem Tempo und Lyrics wie ein verblassendes Sepiaportrait aus viktorianischer Zeit. Here I am / Surrounded by our many words unspoken / We lay on carpets of dead flowers yet heartbroken / Dreams fell from dusty cobwebs and fled to nowhere; dennoch kraftvoll genug vorgetragen, um keine Agonie aufkommen zu lassen. Mit „A Withered Kingdom“ folgt mit 11:36 Min. Laufzeit Albireons erstes Solostück und gleichzeitig auch das längste Stück auf diesem Album, das dennoch keine Längen aufkommen läßt. Eine gleichmäßig ruhige musikalische Untermalung betont die Eindringlichkeit von Davides halb gesprochenen Gesang, unterstützt durch Sequenzen mit verzerrter Stimme auf einer anderen Ebene. Eine Dissonanz zum Ende hin verhindert das meditative Abdriften.
Auch die einzige vorab veröffentlichte Single „Air from Afar“ gerät ausgesprochen sinnlich, wozu beispielsweise Tamar Singers verletzliche Interpretationsweise, Davide Borghis geflüsterte Passagen und Sustain sehr reizvolle Stilmittel bilden.
Zeresh veröffentlichte „Halls Grew Darker“ bereits als Soloaufnahme auf ihrer 2018 erschienenen EP Sigh for Sigh, für diese Kontribution wurde das Stück in der gerade einmal halb so langen Version mit Vidi Dolev beigesteuert, wie es auch bei ihren Konzerten zusammen performt worden ist. Das quasi Unplugged-Stück bei einem kleinen Auftritt seht ihr weiter oben.
Die Vertonung von William Shakespeares Sonett „No Longer Mourn For You When I’m Dead“ ist im Duett mit Pablo C. Ursusson so zart und sphärisch geraten, daß man den Worten schon sehr genau lauschen muß, um sie verstehen zu können.
Das Schlußlied „The Aftermath“ fällt stilistisch dann auch mächtig aus dem Rahmen mit der komplett verzerrten Stimme Michael Zolotovs und den Noise-Elementen. Zeresh huscht hier nur als kaum wahrnehmbarer Hauch durch. Grüße aus der Unterwelt bis zum mittelalterlich anmutenden Fade-Out.
No Longer Mourn For Me ist ein rundum gelungenes Album, das mit jedem Hören an Faszination gewinnt, da es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Albireon und Zeresh haben mit der Zugänglichkeit des Materials dafür gesorgt, daß die Musik auch für Zuhörer*innen interessant ist, die sonst nicht so in der Dark/Ambient-Szene bewandert sind.
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