Review: ARCH ENEMY – Deceivers
Fünf Jahre, so lange haben uns die Melodic Death Metaller Arch Enemy selten auf ein neues Studioalbum warten lassen! Endlich kam die neue Platte Deceivers heraus und SKULL NEWS konnte endlich reinhören. Lest hier, was wir von Deceivers halten.
Der Opener „Handshake With Hell“ geht schon mal ordentlich ab und gibt vor, was wir für das Album zu erwarten haben: Arch Enemy ziehen dsa Tempo deutlich an und man kann teils punkige Anleihen an Psychobilly à la Misfits rauszuhören, es gibt mehr Einsatz von Alissa’s charaktervoller und ausdrucksvoller Klarstimme, fehlen dürfen außerdem nicht die virtuosen mehrstimmigen Gitarrenduette von Jeff Loomis und Michael Amott. Leider versuchen Arch Enemy all diese Elemente auch in jeden Song reinzuquetschen, viele Lieder wirken so wie hektische Collagen mit einem dünnen roten Faden. Genreübergreifender Mix ist immer gut, so entstehen oft kreative Ideen, die Kunst besteht aber darin, gleichzeitig eine schlüssige Struktur zu entwickeln, ein Konzept, welches das Album zusammenhält.
Und so richtig originell und innovativ ist das Album en gros auch nicht. In den meisten Songs gibt es zu viele Ähnlichkeiten zu früheren Liedern der Band, zu sehr gleichen sich Songstrukturen. Thematisch könnten Arch Enemy sich ebenfalls was Neues einfallen lassen. Es ist etwas ermüdend, wenn die Single „Sunset Over The Empire“ erneut mit „Welcome to the Apocalypse“ beginnt … Witzig ist in diesem Song der sich wiederholende hochgepitchte Heuler von Loomis‘ Gitarre, der mich an da Wiehern der Pferde der apokalyptischen Reiter erinnert. Nettes Detail. Cooler Song, aber leider kein sehr einprägsamer Refrain. Der Chorus von „Handshake With Hell“ dagegen ähnelt enorm der Leadmelodie von „As The Pages Burn“ und die Vollgasaction von „Deceiver, Deceiver“ recycelt musikalische Ideen vom Knallersong „The Race“ vom vorigen Album.
Neben der Wiederaufnahme alter musikalischer und textlicher Motive stört, dass ab und zu die Wechsel etwas willkürlich wirken. So fragt man sich, wieso in „Deceiver, Deceiver“, plötzlich ein klassisches Hard Rock-Gitarrensolo daherkommt, nachdem der Song in den Strophen im treibenden Beat abgeht, wonach ein episch breiter Refrain das Tempo rausnimmt. Man will irgendwie alles auf einmal. Zu viel von allem in viel zu wenig Zeit, fast schon klingen die Songs wie an die Hörgewohnheiten der Streamingdienst-User:innen angepasst, die in den ersten 30 Sekunden bereits das Essentielle gehört haben wollen. Man kann es auch positiv sehen, welch breites Repertoire an Spieltechniken und Stilen die Musiker draufhaben: Die beiden Gitarristen beeindrucken mit ihren fingerfertigen und schön harmonisierten Duos und die fliegenden Rhythmuswechsel bringt Drummer Daniel Erlandsson knackig und überzeugend rüber.
Im Grunde ist Deceivers ein Best Of von Arch Enemy und vor allem das Kondensat dessen, was bei den Live-Shows immer gut ankommt. Ohne Frage werden sich die neuen Lieder nahtlos in die Setlist integrieren und beim Publikum wie gewohnt zünden, denn Arch Enemy sind bekannt für ihre fulminanten Shows. „The Watcher“ wird ein würdiger Nachfolger von „War Eternal“, mit erneut ähnlichen Strukturen, aber es ist zumindest griffig geschrieben, geht von der ersten Sekunde an ab und hat einen Hammerrefrain. Genial kombinieren Arch Enemy eine eingängige Gitarrenmelodie mit einem sowohl hymnischen wie bärigen Gesang, natürlich ein erprobtes Schema der Band. Im Vergleich mit den früheren zwei Alben mit Alissa White-Gluz zeigen die neuen Songs, besonders „The Watcher“, wie immens die Sängerin ihre gutturalen Gesangstechniken ausgebaut hat. Mehr Tempo, mehr Stütze und Druck im gesamten Spektrum ihres Stimmumfangs. Spätestens jetzt sollten Zweifler überzeugt davon sein, dass Alissa zu den stärksten Growlern und Screamern im Metal überhaupt gehört!
Auch hat die Band als Ganzes einen Sound gefunden, der für alle gut funktioniert, Alissas Gesang, den Arch Enemy mit melodischen Gitarren, drückendem Bass und Schlagzeug gut zur Geltung bringen, ohne an Härte einzubüßen. Besonders gut kommt dies in „One Last Time“ zum Ausdruck, ein zwar recht einfach gestrickter Song, aber er funktioniert. Ich frage mich, warum nicht dieser Track als Single ausgewählt wurde, denn er ist wesentlich griffiger als die offiziellen Singles. Schön ist außerdem der Umschwung zu einer wesentlich melancholischeren, düsteren Atmosphäre ab dem instrumentalen Interlude „Mourning Star“. Die darauffolgenden Lieder sind etwas langsamer als der powervolle erste Teil des Albums, aber sie sind gleichzeitig intensiver, weil sich Arch Enemy mehr auf die Untermalung der Lyrics zu konzentrieren scheinen. In „Exiled From Earth“ geht es immerhin um die katastrophalen Zerstörungen, die der Mensch auf der Erde verursacht hat. Zwar kommt dieses Thema auch zuvor zur Sprache, aber hier in diesem abschließenden Song scheint es der Band wichtig zu sein, dass die Message auch verstanden wird. Ein würdiges Finale des Albums Deceivers.
Zusammenfassend finde ich, dass das neue Arch Enemy Album nicht so richtig die Balance aus Innovation und Vertrautem findet. Einerseits werden alte Melodieversatzstücke, Textzeilen und Kompositionskonzepte recycelt. Dies bindet Deceivers schön in das langjährige Schaffen der Band ein. Doch es macht es gleichzeitig auch sehr repetitiv, fast klischeehaft. Andererseits probieren Arch Enemy einige neue Elemente aus. So kommt Alissa’s Klarstimme mehr zum Einsatz, was wirklich ein Gewinn ist. Auch bringen die Musiker in gewohnter Manier ihre geniale Virtuosität an den Instrumenten zum Ausdruck. Doch sie kombinieren recht wild verschiedene Subgenres des Metal und Rock, was manchmal etwas wirr und uneingängig wirkt. Alles in Allem ist Deceivers ein solides Melodic Death Metal Album und ein typisches Arch Enemy Album.
Ich hätte mir jedoch mehr Überraschungsmomente gewünscht! Vor allem, weil die Band in fünf Jahren Zeit genug gehabt hat, etwas Neues zu entwickeln und über sich hinauszuwachsen. Doch immer mal wieder ein zwei Lieder laufen lassen, oder in eine Playlist integrieren, das kann ich mir gut vorstellen. Und dann sind wir wieder bei den Streaming-Gewohnheiten … Abschließend kann SKULL NEWS das Album empfehlen und vor allem freuen wir uns sehr darauf, die neuen Songs live zu erleben. Denn das ist das, was Arch Enemy am besten können: Eine fette Show liefern!
Tracklist: Arch Enemy Deceivers (12. August 2022)
01 – Handshake With Hell
02 – Deceiver, Deceiver
03 – In The Eye of The Storm
04 – The Watcher
05 – Poisoned Arrow
06 – Sunset Over The Empire
07 – House Of Mirrors
08 – Spreading Black Wings
09 – Mourning Star
10 – One Last Time
11 – Exiled From Earth