Review: Scardust Strangers

Review: Scardust Strangers

Allen Schwierigkeiten zum Trotz bringt die israelische Progressive Metal Band Scardust Ende Oktober ihr neues Album Strangers heraus. Die Covid 19-Pandemie hatte lange Zeit den Produktionsprozess behindert, so gab es immer wieder totale Lockdowns in Israel und die Bandmitglieder mussten solo weiterarbeiten. Doch was lange währt wird endlich gut und so können wir uns nun auf progressive Kreativität und irre Stilmixes freuen! SKULL NEWS hat für euch in Strangers von Scardust reingehört!

Scardust

An der israelischen Progressive Metal Band Scardust kommt man mittlerweile nicht mehr vorbei, zu sehr haben die begnadeten Musiker um Powerfrau Noa Gruman Einfluss auf die internationale Metalszene. Seit Jahren bauen Scardust ihre Karriere auf, überraschen durch ihren ungewöhnlichen Stilmix, den sie souverän und kunstfertig live auf den Bühnen als Support von Größen wie Therion, Symphony X oder Epica unter Beweis stellen. Scardust lassen sich in keine Schublade stecken, denn ihr Sound ist von verschiedensten Einflüssen geprägt: Wir hören klassische Elemente, barocke Melodien, symphonische Arrangements, all das kontrastiert mit astreinem Heavy Metal und Anleihen an Groove Metal, Musical und sogar Jazz. Getoppt wird diese bunte Mischung von der stimmlichen Vielfalt, die bisher vor allem von einer Person getragen wurde, Frontfrau Noa Gruman. Im neuen Album Strangers werden wir hören, dass verstärkt ihr Chor Hellscore die neuen Songs prägt, aber zurück zum Anfang. Noa Gruman hat ohne Frage eine der vielseitigsten Stimmen im Bereich Pop, Rock, Metal und Klassik. Sie hat in Jerusalem an der Academy of Music und an der Royal Academy of Music in Aalborg studiert und war sogar erste Sopranistin für The Israeli Opera and Philharmonic. Ihre glasklare klassische Technik verzaubert uns aber auch in ihren Scardust-Songs, doch Noa Gruman ist mittlerweile auch vollkommen komfortabel im harschen Spektrum des Gesangs. Ihre tiefen Growls und heiseren Screams beeindrucken nachhaltig, umso mehr, weil sie zwischen diesen verschiedenen Techniken im Sekundenbruchteil wechseln kann. Kein Wunder also, dass Gruman einerseits Dozentin für Gesang ist (zum Beispiel an der Musikakademie Bayern), sondern durch ihre eigene vielfältige Erfahrung und Ausbildung auch als Chorleiterin von Hellscore hervorragend die unterschiedlichen Stimmtalente ihrer Chormitglieder zum Vorschein bringt. Hellscore eroberten so diesen Sommer mit ihrem A Capella Medley der besten Nightwish-Songs die Herzen von Symphonic Metal Fans weltweit!

Hellscore Nightwish Medley (A Capella)

Zuvor haben die Chöre unter der Leitung von Noa Gruman bereits die israelische Metalband Orphaned Land sowohl für die Alben als auch für Live-Performances unterstützt.

Noa Gruman und ihr Chor mit Orphaned Land

Auf dem aktuellen Amorphis-Album Queen Of Time sind Gruman und ihr Chor ebenfalls dabei, sowie auf dem neuesten Langspieler Transitus der niederländischen Supergroup Ayreon. Woher nimmt Noa Gruman nur all die Energie?! Mit all diesen großartigen Projekten und Kooperationen schafft sie es dennoch, sich auf ihre wichtigste Band, Scardust, zu konzentrieren und sich dort völlig zügellos in ihrer Kreativität auszutoben. Scardust bestehen neben Gruman noch aus vier weiteren großen Talenten, so unterstützt Komponist Orr Didi den Songwriting-Prozess. In der Rhythmus-Fraktion zeigen Yanai Avnet (Bass) und Yoav Weinberg (Schlagzeug) atemberaubende Wechsel in Tempo und Rhythmus, sie stützen den Scardust-typischen Stilmix im Hintergrund. Yadin Moyal brilliert in virtuosen Gitarrensoli, sowie in solidem Rhythmusspiel. Auf dem neuen Album kann er zudem in einigen Songs clean spielen, mal jazzig, mal sanft. Die fünf Musiker*innen verbindet eine gemeinsame Vision, was man am wesentlich konsistenteren Konzept des Neulings Strangers hören kann. SKULL NEWS stellt euch die neue Platte von Scardust hier vor!

Strangers, das neue Album von Scardust

Tracklist: Scardust Strangers (30. Oktober 2020, M-Theory Audio)

01 – Ouverture fort he Estranged

02 – Break the Ice

03 – Tantibus II

04 – Stranger

05 – Concrete Cages

06 – Over

07 – Under

08 – Huts

09 – Gone

10 – Addicted

11 – Mist

Mit einer beeindruckenden Ouvertüre führen Scardust ihr Album ein. Wie für eine Oper oder ein Musical werden im eröffnenden Stück „Ouverture fort he Estranged“ die musikalischen Kernideen von Strangers eingeführt, wir erkennen die Hauptmelodien der Singles immer wieder. Auch dürfen sich die verschiedenen Instrumente vorstellen und die Harmonisierungen der Gesangsstimmen werden vorbereitet, immerhin warten Scardust mit einem ganzen Chor und der gewaltigen Noa Gruman auf. Patty Gurdy spielt in dieser Ouvertüre bereits kurze Passagen auf der Drehleier ein … wir wissen also von vornherein, was das Album mit uns vorhat! Das Eis ist nun gebrochen, nur logisch, dass das folgende Lied „Break the Ice“ die musikalische Fortsetzung darstellt. Es ist einer der Songs auf dem Album, in welchem Noa Gruman besonders ihre zarteren Vocals, vor allem in den Strophen, brillieren lässt. „Tantibus II“, die erste Singleauskopplung, beginnt aufregend. Zu rasanten Bass- und Schlagzeug-Akzenten drohen „Tantibus“-Chorale im Hintergrund und das Orgelspiel erinnert uns an Gruselfilme … dieses Lied begleitet die Band schon ein paar Jahre, sie haben es bereits häufig auf der Bühne gerne im Kontext mit dem Vorgänger „Tantibus I“ performt. Fans ist es also bereits bekannt, umso mehr werden sie sich freuen, dass „Tantibus II“ nun endlich in einer sorgfältig bearbeiteten Studioversion vorliegt.

Scardust, Musikvideo zu „Tantibus II“

„Stranger“, das Kernmotiv des Langspielers, folgte bald als Single. Nicht nur in den Texten aller Songs beziehen sich Scardust immer wieder auf dieses Lied, sondern auch die Melodien werden immer wieder aufgegriffen. „Stranger“ ist in der Tat der Song, der sich am stärksten einprägt, eine gute Wahl also für eine Singleauskopplung.

Scardust, Musikvideo zu „Stranger“

„Concrete Cages“ nimmt uns mit ins Mittelalter mit folklorischen Melodien, meisterhaft gespielt von Patty Gurdy auf der Drehleier. Die junge deutsche Singer – Songwriterin hat sich mittlerweile einen Namen gemacht und ihre Stimme und ihre Drehleier-Talente namhaften Bands wie Alestorm, Faun, Subway To Sally, sowie Ayreon auf ihrem neuen Album Transitus geliehen. Und nun spielt Patty Gurdy auch bei Scardust in einem der längsten und epischsten Songs auf Strangers mit. Doch Scardust belassen es nicht bei den eingängigen mittelalterlichen Klängen, bald setzen heavy Gitarren, sehr prägnant akzentuierte Basslines, sowie die stimmliche Vielfalt von Noa Gruman und ihrem Chor ein. „Concrete Cages“ kondensiert in spannungsvollen siebeneinhalb Minuten die Essenz des gesamten Albums Strangers. Mit „Over“ schlagen Scardust wieder härtere Töne an, machen unmissverständlich klar, dass sie eine Metalband sind. Im Intro brechen Gitarren und Bass in einem wummernden Gewitter aus aggressiven Riffs über uns herein, der Chor erhebt sich engelsgleich und wird sofort von einem animalisch bösen Scream verdrängt. Insgesamt beobachtet SKULL NEWS, dass Scardust mit diesem neuen Album wesentlich mehr die extremeren Gesangtechniken von Noa Gruman hervorbringen, als bisher, ihre harschen Vocals klingen auch wesentlich voller. Noa wechselt völlig selbstverständlich zwischen Klargesang und tiefen Growls und hohen Screams. Zwischendrin tritt der Bass in einer insistierenden, pulsierenden Weise hervor, erinnert in der Art, wie das Instrument trocken abgemischt und rhythmisch eingesetzt wird, sehr an Vorbilder aus dem Groove Metal wie es Jinjer seit Jahren zum Trend gemacht haben. Doch auch Keyboarder Itai Portugaly zeigt in seinen Soloparts große Virtuosität, macht so Yadin Moyals flirrenden Gitarrensoli Konkurrenz! „Under“ überrascht uns mit mittig abgemischter, klarer Gitarre, geshuffeltem Schlagzeug mit klirrenden Beckenakzenten und jazzigem Gesang. Scardust sind wahrlich eine unendliche Quelle an Kreativität! In diesem Lied finden wir allerdings, dass der Chor im Refrain etwas zu viel Geschliffenheit und Harmonie in den insgesamt eigentlich recht nervös trippelnden Song bringt. In „Huts“ kommen erneut die verschiedenen Stimmen zur Geltung, die Leadstimme ist rauh und intensiv, dagegen wird eine zarte Kinderstimme und der Chor in Kontrast gesetzt. Insgesamt ist „Huts“ von starken Gegensätzen geprägt, immer wieder verlangsamt sich das Tempo, weiche Melodien erheben sich über die basslastigen, abgehackten Instrumente. Dann ziehen Scardust wieder an Geschwindigkeit an – abrupt endet der Song, nachdem er sorgfältig die Anspannung aufgebaut hat! Der folgende Song, „Gone“, hat gerade als Musikvideo Premiere gefeiert, und startet mit einer hymnischen Klangfolge auf dem Keyboard durch. Moment, die kennen wir doch? Ja, es ist sehr nah an der Melodie des Refrains von „Stranger“, auch im Songtext beziehen sich Scardust an diesen vorigen Track. „Gone“ ist kurz und knackig, im Vergleich zu den anderen Liedern, er ist sicher eines der eingängigsten auf der Platte, obwohl sich Itai Moyal, Yanai Avnet und Yoav Weinberg an Keys, Bass und Schlagzeug zwischendurch ein irres Battle liefern. Zusammengehalten wird der Song von der einprägsamen Refrainmelodie, ein rundes Ding.

Scardust, Musikvideo zu „Gone“

„Addicted“ bietet uns einen verrückten Stilwechsel, mehr elektronische Effekte auf dem Keyboard lassen uns an 80er Jahre Science Fiction denken, doch es gibt auch musikalische Bezüge zu Zirkusmusik mit Rasseln und frechen Violinen in der ersten Strophen. Dann kommen symphonische Elemente durch den Chor hinzu … So richtig wissen wir nicht, wohin bei „Addicted“ die Reise gehen soll …

Scardust, Musikvideo zu „Addicted“

„Mist“ gibt uns eine kleine Verschnaufpause, zumindest während des zarten Intros, danach nimmt die Intensität wieder zu, spätestens bei dem heroischen Gitarrensolo in der Mitte des Songs. Noa Gruman beweist in „Mist“, dass sie auch emotional und weich singen kann – passend dazu perlen cleane Gitarrenarpeggios, der Dreivierteltakt lädt zum Schunkeln ein. Hier hören wir wieder die musikalische Nähe von Scardust an Rockmusicals wie Ayreon, mit denen Noa ja zuletzt zusammengearbeitet hat. Wiederholt wird sich in den letzten Refrains wieder auf die „Strangers“ bezogen, bevor mit einer letzten sehnsuchtsvollen Note das Album endet.

Als Fazit kann SKULL NEWS festhalten, dass Scardust nicht ohne Grund dabei sind, die Welt des Rock, Pop und Metal zu erobern. Die Band vereint fünf versierte, kreative und leicht wahnsinnige Musiker*innen, die sich musikalisch keine Grenzen setzen. Strangers ist mit Sicherheit kein Album, das man einfach so konsumieren kann, dafür ist es zu komplex und anspruchsvoll. Scardust verbinden zwar alle Songs durch melodische und textliche Leitmotive, doch fordern sie ihre Zuhörer*innen auch dazu heraus, genau hinzuhören und die verschiedenen Ebenen ihrer Lieder zu erforschen. Keine leichte Kost! Teils wirken die Tracks für ungeübte Ohren zerrissen, so stark überraschen die plötzlichen Rhythmus- und Atmosphärenwechsel, die Stilbrüche und allein schon die krassen Übergänge von Klargesang zu aggressiven Growls und Screams. Dennoch, wenn man Strangers als Ganzes betrachtet, verbinden sich die Lieder zu einem sinnvollen Ganzen. Scardust haben auf diese Weise bei allen Experimenten doch ein einheitliches Werk geschaffen. Nun liegt es an euch Zuhörer*innen, Strangers Track für Track zu erkunden und eure Favoriten zu finden.

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