Review: Of Bird And Cage

Review: Of Bird And Cage

Eigentlich fing alles ganz harmlos an – Capricia begannen als Rockband und kamen dann auf die Idee, ein Videogame in Kombination mit Heavy Metal zu kreieren. Of Bird And Cage war geboren.

Erzählt wird die Geschichte der 25jährigen Gitta Barbot, die Mißbrauch und Gewalt schon als Kind bei den Eltern miterleben mußte, indem ihr alkoholkranker Vater ihre Mutter verprügelte, und sich selbst in toxischen Beziehungen wiederfindet. Sie arbeitet als Kellnerin in einem Diner und ist in doppelter Hinsicht abhängig von ihrem Freund Ari, der sie mit Drogen versorgt. Nach einem Pubbesuch wird sie von Bres, den sie dort als eine Art DJ kennen lernte, entführt, und in ein heruntergekommenes Fabrikgebäude verbracht. Durch Stöbern in der Behausung findet sie über Zeitungsartikel heraus, daß er ein einst hochdekorierter Special Forces-Veteran war, der bei einem Autounfall vermeintlich unter Einfluß von Substanzen Frau und Kind verloren hatte und deswegen im Gefängnis saß. Es kristallisiert sich heraus, auf welch tragische Art und Weise ihre beiden Schicksale miteinander verknüpft sind. Sie werden Partners in Crime, überstehen einen Polizeisturm auf das Gebäude, und Gitta geht auf Rachefeldzug den Menschen gegenüber, die sie verletzt und erniedrigt hatten. Das Ende kommt allerdings anders, als man dann denkt…

Zur Umsetzung des musikalischen Konzepts fand sich dann ein sehr illustres, internationales Grüppchen an musikalischen Schwergewichten ein:

Kobra Paige (Kobra & The Lotus, Kanada) in der Rolle der Protagonistin Gitta Barbot;

Davidavi “Vidi” Dolev (Gunned Down Horses, Subterranean Masquerade, Israel) als Bres Lupus;

Danny Worsnop (Asking Alexandria, Großbritannien) als Gittas Freund Ari; Snowy Shaw (King Diamond, Mercyful Fate, Memento Mori, Therion, Dimmu Borgir, Schweden) als Gabriel Barbot, Gittas Vater; Ruud Jolie (Within Temptation, Niederlande), Rocky Gray (Evanescence, Machina, Living Sacrifice, USA) und Ron “Bumblefoot” Thal (Art of Anarchy, Guns n’ Roses, USA) an den Gitarren;

Rob van der Loo (Epica, Niederlande)

und Mike Lepond (Symphony X, USA) am Bass; Casey Grillo (Queensryche, USA) an den Drums und Tina Guo (mitunter Zusammenarbeit mit Hans Zimmer, diverse Filmmusiken und renommiert in E- und U-Musik, USA) am Cello.

Dem Ergebnis zugrunde liegt ein langer Entwicklungsprozeß. Bei einigen Gamescons waren die Musiker*innen vor Ort – nicht immer mit der Session-Besetzung -, um die Musik live zu performen, während auf dem Screen synchron dazu das Spiel lief. Ruud Jolie hat in seinem Vlog launig aus Malmö berichtet:

NordicGame, Malmö, Mai 2019

Später im Jahr 2019 gab es noch Einblicke rund um die Performance in Polen:

Poznan, Oktober 2019

Zum Videogame selbst kann ich nichts sagen, da ich nicht zocke. 😉 Jedoch habe ich mir ein Walkthrough Video auf YouTube angesehen, um mir von der Handlung und der Wirkung der Musik ein Bild machen zu können. Ab einem bestimmten Punkt ist die Musik untrennbar mit der Spielhandlung verbunden und nicht zu stoppen oder zu unterbrechen. Die Vokalist*innen singen nicht nur, sondern verleihen den verkörperten Charakteren ihre Sprechstimmen.

Das Walkthrough Video ist fesselnd wie ein Spielfilm. Wer genau hinschaut, entdeckt viele kleine versteckte Gimmicks. Und wer in der Eröffnungsphase hinhört, wird mit einer im Hintergrund laufenden Version von “Turtle Doves” (Gunned Down Horses) belohnt, justament in der Phase, als Gitta Bres erstmals trifft. Turtle Doves? Stimmt, da war doch was. Wir haben bereits vor zwei Jahren über das Hilfsprojekt fürs Haifa Rape Center berichtet und die Thematik der toxischen Beziehungen aufgegriffen. Der Song paßt wunderbar zur Thematik einer durch Gewalt geprägten Kindheit, durch Mißbrauch bestimmten Beziehungen… schlägt den Bogen von der Turteltaube zum Vogel mit gestutzen Flügeln im Käfig… Und zum Verkörperer von Bres, Vidi Dolev, der unter anderem bei Gunned Down Horses singt und dieses schöne Stück geschrieben hat.

Zurück zum Thema. Wenn die Visualisierung und die Musik aneinander gekoppelt sind, kann die Musik dann auch ohne die Visualisierung funktionieren? Ich denke ja. Wer auf die Texte achtet, wird sicherlich ein größeres Verständnis aufbringen, worum es gerade geht, wenn er die Handlung vor Augen hat. Aber auch für sich betrachtet hat die Musik einen großen Reiz. Filmsoundtracks machen ja auch Spaß, wenn man den Film nicht sieht oder gar nicht erst kennt. Einfach, weil die Musik gut ist und auch für sich allein stehen kann.

Of Bird And Cage ist im Melodic/Symphonic Metal verankert. Bedingt durch die Performance im Game, wo die Figuren aktiv singen (also nicht nur die Musik als Hintergrundberieselung fungiert), glückt durchaus der Spagat zum Musical. Hier hat Komponist und Produzent Arnold Nesis mit den gut zwei Stunden Laufzeit ganze Arbeit geleistet.

Tracklist: Capricia Of Bird And Cage (20. Mai 2021)

01 – Prologue

02 – I Will Be There

03 – Beauty and the Beast

04 – The Time Has Come

05 – Wolf Pack

06 – Break You

07 – Subconscious

08 – Broken

09 – Do You Remember

10 – Huff Huff and Puff

11 – Hear Me

12 – Survive

13 – Revealing the Past

14 – Burning the Past

15 – This Love of Mine

16 – Father

17 – Tell Me Again (Main Theme)

18 – Epilogue 2028

Der instrumentale “Prologue” reflektiert mit seinem melancholischen, getragenen Spiel aus Piano und Streichern in der Rückblende die Erinnerungen der kleinen Gitta, wie sie in ihrem Kinderzimmer auf dem Boden sitzend mit ihrer Mutter spielt… und sie dann Augenzeugin wird, wie der Vater wieder einmal ausrastet und die Mutter schlägt. Bittersüß und mit diesen bohrenden Schmerz, nicht helfen zu können, die Zeit nie wieder zurückdrehen zu können. Gittas Reifeprozeß vom zarten, eher passiven jungen Mädchen, das seinen Überlebenswillen entdeckt (“I Will Be Here” – The pain that I suffered / The scorn and the lies / Can give me wings/ Give me wide open skies / The smoke screen has cleared / I have opened my eyes / No more chains / No restrains) bis hin zur starken, selbstbewußten Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt (“Burning the Past” – I can make this right / The bird I used to be has flown away / I need to summon all my will and stay / Within only hours left/ Can I forget), wird wunderbar von Kobra Paige begleitet, die ihrer Heldin mit ihrer wandelbaren Stimme überzeugend Leben einhaucht.

Vidi mit “Burning the Past” auf der GAME ON! in Litauen, im Game und Album von Kobra Paige performt

Ähnlich verfährt Davidavi Dolev mit Bres, der das gesamte Gefühlsregister vom bedrohlichen Psychopathen auf Rachefeldzug (“The Time Has Come” – Oh, I’m the glowing pair of eyes / You see at night within the grass / The one who’s straying in the mist / I prey on the weak / I am the beast), den emotional tief verwundeten und gebrochenen Loner, mit dem man schon wieder Mitleid hat, bis hin zum… ja, bitteren Ende abdeckt.

Die beiden Hauptvokalisten geben auch bei den Duetten eine sehr gute Figur ab. Beispielsweise “Do You Remember” ist nahezu schon ein Kammerspiel für sich, leidenschaftlich und dramatisch mit der glockenklaren Gitta, einem fauchenden und grollenden Bres und sich überraschend in zum Sterben schönen Worten begegnend – “Listen dear / I will protect you / Rest your head here / In my arms” (da bleibt fast kein Auge trocken!) – um dann wieder im anschließenden “Huff Huff and Puff” an Tempo anzuziehen. Und diese Spannung zieht sich auch durch die anderen Collabs. Vidi demonstriert eindrucksvoll, warum er als einer der besten Stimmen des Genres gilt.

Die Figuren des Ari und des Gabriel bleiben bis auf kleine Rollen in Duetten auf dem Soundtrack leider etwas blaß, jedoch stellen sie im Game auch eher nur Randfiguren, wenn auch prägend für Gitta, dar. Dennoch hätte man gerne mehr von den Sängern zu hören bekommen. 😉

Das Bild vom Wolf taucht immer wieder auf. Im Namen – Lupus (lat. für Wolf), in Bildnissen (“The Time Has Come”– Oh, I’m the glowing pair of eyes / You see at night within the grass / The one who’s straying in the mist / I prey on the weak / I am the beast), in Lautmalerei (“Wolf Pack” – Will we break through); Bres verkörpert den einsamen Wolf, der getrennt von seinem Rudel seine Runden dreht. Man sagt einsamen Wölfen nicht ohne Grund nach, einen an der Klatsche zu haben. (“Do You Remember” – Talks of wolves and misty creatures / You’re no beast, you’re just insane)

Das Album orientiert sich an den Stilmitteln klassischer Filmmusik mit den entsprechenden Tempiwechseln, Suspense, sich wiederholenden Sätzen, bleibt bei aller Grandeur jedoch zugänglich und die Melodien sind eingängig. So machen die Schöpfer von Of Bird And Cage mit ihrer Komposition und die Musiker*innen und Vokalisten alles richtig – sperrige Elemente wie experimentelle Klänge würden den Fluß eher stören. Und ja, hier sind Vollprofis am Werk; die Musiker*innen greifen in ihrer Darbietung wie Zahnrädchen ineinander und lassen nicht vermuten, daß sie “normalerweise” nicht miteinander musizieren und über die halbe Welt verstreut leben. Der akustische Kraftakt hat sich gelohnt! Die knapp zwei Stunden werden nicht langweilig, es lohnt sich, sich auf dieses spannende Werk und seine hervorragenden Musiker*innen einzulassen, unabhängig davon, ob ihr zockt oder nicht.

Of Bird And Cage (Album) gibt es beispielsweise bei Bandcamp.

Game und Soundtrack auf Steam

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Of Bird And Cage auf der Website

Of Bird And Cage (Game) als Walkthrough

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