Live-Review: EPICA Ωmega Alive

Live-Review: EPICA Ωmega Alive

Gestern Abend gingen Epica mit ihrer gigantischen Show Ωmega Alive online. SKULL NEWS hat für euch reingeschaut und stellt euch hier ein paar Eindrücke vor. Gleich vorab will ich festhalten, dass meine Review keine chronologische Beschreibung des Events ist. Ich möchte vielmehr einige bedeutende Momente der Show herausstellen, damit ihr euch die Bühnenshow vorstellen könnt.

Etwas missverständlich war der Titel der Show, da ich erwartet habe, dass überwiegend die Songs vom gleichnamigen Album performt würden. Tatsächlich haben Epica vom neuen Album Ωmega (hier geht’s zu unserer Review) nur sechs Lieder dargeboten, das Intro „Alpha – Anteludium“ wurde vom Band abgespielt. Schlecht war die Entscheidung trotzdem nicht, auch alte Lieblinge der Fans wie „Cry For The Moon“ und „Once Upon A Nightmare“ und Kracher wie „Unchain Utopia“ und „Beyond The Matrix“ in die Setlist zu integrieren, denn sie passen hervorragend in die Story, die über die Show hinweg unter anderem auch durch Videoclip-Einblendungen erzählt wird. Die beiden erst genannten Balladen gingen auch ganz schön unter die Haut, natürlich waren es kalkulierte Emotionsausbrüche, denn was wirkt eindrucksvoller als eine fragile Simone Simons, als Einzige aus der Band auf der Bühne, umringt von einem großen Chor?! Ich schreibe bewusst von Kalkül, denn die gesamte Ωmega Show war eine einzige große Zirkusnummer, im besten und kritischeren Sinne. Teils lenkten nämlich die großartigen Akrobatik- und Tanzeinlagen etwas zu sehr von der Musik ab, aber das ist Geschmackssache und Bombast war schon immer ein wichtiges Element der besonderen Bühnenshows von Epica, wie zum Beispiel die Retrospect-Show von 2013. Dennoch muss man festhalten, dass die Feuerjonglagen, Rhönradartistik, der Contemporary Dance und mehr beeindruckend waren, vielleicht ein wenig übertrieben, aber Epica scheinen sich mit ihrer Ωmega Alive-Show vorgenommen zu haben, ihre Fans mit einem möglichst spektakulären Event über die Live-Konzert-freie Zeit hinwegzutrösten. Außerdem wird die Aufzeichnung eine fantastische Grundlage einer Blu-Ray/DVD werden. Was mich bei dieser Überproduktion jedoch störte, war, dass wir zwar die Band sich auf der großen Bühne bewegen sehen, doch ist der Ton so perfekt produziert, dass man beim Schließen der Augen kaum den Live-Charakter heraushören kann. Es könnte genauso eine Studioaufnahme sein. Das ist Lob und Kritik gleichzeitig, denn Epica liefern auch sonst auf Livebühnen meistens absolute Meisterklasse ab, selten nur gibt es Ausrutscher, musikalische oder stimmliche Schwächen. Epica sind einfach große Performer! Doch ein bisschen Ungeschliffenheit und weniger Sterilität brauchen wir schon, um dass ein gewisses Knistern rüberkommt. Das Livegefühl haben wir vielleicht ein bisschen bei Mark Jansens Growls, diese hören sich von allen akustischen Elementen am ehesten nach Liveperformance an. In Hinblick auf etwaige technische Störungen und der zukünftigen Filmaufnahme ist der Ansatz, die Show vorher aufzuzeichnen und nicht in Echtzeit zu übertragen sicher vernünftig gewesen, wir erinnern uns daran, dass die Liveübertragung von Orphaned Land & Symphony am 10. Juni nicht gut geklappt hat. Auch haben offenbar Epica ihre Setlist nicht in einem Flow gespielt, so wie es trotz Recording Avatar mit ihren Ages-Konzerten gemacht haben, bei denen Avatar in realem Timing Bühnenumbau, Kostüm- und Instrumentenwechsel, sowie Trinkpausen gemacht haben, auch wurden die Herren zunehmend verschwitzter und zerzauster. So kam ein starkes Gefühl von Authentizität rüber, womit Avatar meiner Meinung nach eine geniale Mischung der virtuellen und der Echtzeitperformance dargeboten haben und damit Standards für Live-Streamkonzerte gesetzt haben. Die Kolleg*innen von Nightwish sind ja bekanntlich vor zwei Wochen einen anderen Weg gegangen als Epica, sie haben zwar auch vorproduzierte Aufnahmen gestreamt, doch haben sie klar das Set in einem Rutsch performt, sie ließen die kleinen Pausen im Video drin, in denen sie durchschnauften und ihre Kehlen befeuchteten, wodurch es zu gespenstisch stillen Momenten kam, die uns schmerzhaft daran erinnerten, dass der Band gerade dann ein tobendes, reaktives Publikum fehlte. Was Nightwish in aller Professionalität gemeistert haben, in der zweiten Show haben sie sogar ganz und gar zu ihrem üblichen Live-Biest-Modus zurückgefunden. Auch haben sie die kleinen Pannen im endgültigen Video gelassen, als zum Beispiel Troy Donockley in „I Want My Tears Back“ seinen Gesangseinsatz nach dem Pipe-Solo vergessen hat – das sorgt bei aller Künstlichkeit, die so ein „Live“-Stream birgt, doch wieder für einen menschlichen, griffigen Moment. Aber ich schweife ab. Wir waren bei Epica Ωmega Alive. Und genau das ist mir gestern beim Sehen der Show immer wieder passiert, trotz aller Wow-Effekte war ich immer wieder nicht bei der Sache. Denn die gesamte Produktion wirkte einfach wie ein extralanges Musikvideo – und bei Musikvideos kommt ein gewisser Passivitätsmodus auf. Den Mangel an Live-Authentizität haben Epica durch solche Patzer provoziert, wie dass der Kinderchor in „Skeleton Key“ keine Mikrophone hingestellt bekommen hat, was darauf hindeutet, dass nicht einmal dieser Part in Echtzeit mit der Band gleichzeitig auf die Bühne gebracht wurde … oder Momente, wie als sich in „Victims of Contingency“ ein „Regen“ auf die Band ergießt und im nächsten „darauffolgenden“ Lied sind die Haare und Klamotten wieder trocken. Auch hat Simone Simons mal glatte, mal aufwändig gelockte Haare, einige komplizierte Kostümwechsel … zumindest machen uns Epica nicht vor, alles in einem Durchgang gespielt zu haben. Schade ist es, wenn dadurch der Reiz des Menschlichen, nicht immer perfekten, verloren geht. Aber kommen wir zu den positiven Aspekten der Show. Was mir richtig gut gefallen hat, das war die Reihung vom Klassiker „Kingdom of Heaven“ und dem finalen Abschnitt dieser mehrere Alben von Epica durchziehenden Thematik in „Kingdom of Heaven Part III“ vom neuen Ωmega-Album. Zwar fehlt der Mittelteil, aber schon Teil eins und drei nacheinander zu hören war toll. So kommt das kompositorische Genie von Mark Jansen sehr gut zur Geltung, denn er denkt immer an ein größeres Ganzes mit seinen Liedern für die Band. Die „Kingdom of Heaven“-Lieder sind progressive, komplex arrangierte Prestigeobjekte der Band und zeigen ihre wahre Größe. Ein wunderbarer Augenblick war der fragile Gesangspart auf der Akustikgitarre begleitet von Isaac Delahaye, sehr berührend! Ich hatte tatsächlich eine Weile gebraucht, bis mir Teil drei ans Herz gewachsen ist. Zunächst war ich nicht sehr begeistert, mittlerweile finde ich, dass „Kingdom of Heaven III“ einer der besten Songs auf Ωmega ist. Dennoch, immer noch gefallen mir beim neuen Album die Lieder am besten, bei denen Simone Simons die Lyrics geschrieben hat, sie sind deutlich raffinierter, denn Mark tendiert zu typischen Phrasen und Themen. Ein Glanzstück des Ωmega-Albums ist ohne Frage „Rivers“, welches eine der schönsten Balladen im Genre Symphonic Metal überhaupt sein muss, auch weil die Melodieführung ungewöhnlich und interessant ist. Simone Simons singt in einer ergreifend emotionalen Weise, dass einem in diesem Moment egal ist, wie stark diese Show vorproduziert und künstlich ist. Ihr entgegen wird ein mächtiger Chor gestellt. Gänsehaut durch und durch, als sich Simones kristallklare Stimme engelsgleich über den tiefen Chorgesang erhebt! Auch in „Once Upon A Nightmare“ und „Cry For The Moon“ brilliert die zierliche Sängerin. Das sind, auch wenn der Chor wieder keine Mikrophone dastehen hat und somit der Livemoment wieder etwas einbüßt, mit die nahbarsten Augenblicke während der gesamten Show. Coen Janssen und Isaac Delahaye haben ebenfalls einen Moment of Fame: Bei ihrem instrumentalen Intermezzo auf Piano und E-Gitarre spielen sie ein virtuoses Duett.

Doch alles hat ein Ende, so auch die Ωmega-Show, an deren Schluss Epica den Titeltrack „Omega-Sovereign of the Sun“ stellen, was ein wahrhaft festlicher Ausklang ist. Es werden noch ein letztes Mal alle Register gezogen, erneuter Kostümwechsel, Luftakrobatik, Pyrotechnik, Kinderchor, Fahnen- und  Feuerjonglage, Lichtshow, eine letzte Reizüberflutung! All das abgezogen ist es immer noch ein bemerkenswerter Song, der ein Best-Of aus Epica-typischen musikalischen und textlichen Elementen darstellt. Mit Ωmega Alive haben sich Epica wirklich selbst ein Denkmal gesetzt! Nicht nur, weil es eine irrsinnig große Bühnenproduktion ist, die den Stories aus den Liedern Leben verleiht. Sondern auch weil diese Show wie eine Chronik festhält, was Epica am besten können: Spektakuläre Performances, Over The Top Symphonic Metal, das Publikum ins Staunen versetzen. Schade, dass durch die Produktion keinerlei Fehlerchen uns erkennen lassen, dass es tatsächlich zu irgendeinem Moment live gespielt wurde, auch vermisste ich sehr Ankündigungen und direkte Ansprachen an das Publikum. Aber ich will mich nicht wiederholen mit meiner Klage über die fehlende Live-Emotion. Und das ist auch ein wichtiges Stichwort für den Schluss: Durch diesen Querschnitt in der Setlist aus mehreren Alben gemischt mit dem neuen Material wird deutlich, was ich auch in meiner Rezension zum Album geschrieben habe, dass Epica sich ein bisschen zu sehr wiederholen. Ωmega ist eine Sammlung der zugleich besten wie stereotypen Elemente von Epica und es fehlt ein wenig der innovative Charakter in den neuen Songs. Innovativ im Hinblick auf das neu entstehende Genre „Live-Stream-Konzerte“ war Ωmega Alive dennoch allemal, wenn man die gelungene Verbindung von Performance und Videoclips betrachtet (wobei das Avatar auch schon klasse vorgemacht haben!), auch wird sicher vielen Fans gefallen, wie die Bühnenshow durch Akrobatik, Tanz und mehr bereichert wurde. Vielleicht hätte man doch wagen sollen, dazu als Band wirklich live zu performen. Dass Epica das leisten können, haben sie ja immerhin mit ihrer legendären Retrospect-Show bereits bewiesen …

Alles in Allem war Ωmega Alive ein besonderes Erlebnis, welches ich durchaus weiterempfehlen kann, denn noch ist der Stream verfügbar. Die neuen Lieder funktionieren „live“ sehr gut und ich bin sehr gespannt darauf, wie sie dann in der Echtzeitperformance wirken werden, sobald Epica endlich wieder vor Publikum auf die Bühne dürfen! Ich freue mich schon jetzt auf Gänsehaut bei „Rivers“ und darauf, von „Kingdom of Heaven III“ überwältigt zu werden.

Die Ästhetik des Albums wurde sehr schön in der Bühnenshow Ωmega Alive umgesetzt!

Setlist: Epica Ωmega Alive (12. Juni 2021)

01 – Alpha Anteludium (vom Band)

02 – Abyss of Time – Countdown to Singularity

03 – The Skeleton Key (Live Premiere)

04 – Unchain Utopia

05 – The Obsessive Devotion

06 – In All Conscience

07 – Victims of Contingency

08 – Kingdom of Heaven

09 – Kingdom of Heaven Part III – The Antediluvian Universe (Live Premiere)

10 – Rivers (Live Premiere)

11 – Once Upon A Nightmare

12 – Freedom – The Wolves Within (Live Premiere)

13 – Cry For The Moon

14 – Beyond the Matrix

15 – Omega – Sovereign of the Sun Spheres (Live Premiere)

Tickets und Infos zu Ωmega Alive gibt aus auf der Webseite von Epica!

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