Review: CRUEL WONDERS – Clay Vessels
Wir durften euch an dieser Stelle bereits den ersten Song bzw. das erste Video „My Anguish“ aus dem neuen Album von Cruel Wonders vorstellen. Inzwischen ist Clay Vessels erschienen – klar, daß wir für euch reingehört haben.
Sagenhafte vier Jahre hat sich das israelische Duo aus Tamar Singer und Vlad Shusterman Zeit gelassen, bevor es den Nachfolger für Gentle Doom präsentierte. Auf der faulen Haut gelegen haben sie allerdings nicht, sondern sind mit eigenen Projekten umtriebig gewesen – so veröffentlichte Tamar zusammen mit ihrem Mann, Michael Zolotov, ein Album als Necromishka, ihr Doom/Ambient/DarkFolk-Projekt Zeresh brachte eine EP und ein Album heraus und verband sich mit Davide Borghi und seiner Band Albireon zu einem Split-Album, No Longer Mourn For Me, das wir euch hier ebenfalls schon empfehlen konnten. Zudem steuerte sie bei mehreren Alben des neoklassischen Projekts Autumn Tears ihre Stimme bei. Ihr Partner Vlad ist mit Ghost Bike (insgesamt 4 Alben und eine EP) und Sleep’s Sister (ein Album) aktiv.
Und nun bündelten sie wieder ihre Kräfte! Bestand Gentle Doom noch aus von ihnen vertonten Werken namhafter Dichter, punkten sie bei Clay Vessels völlig autark als Texter und Komponisten und schaffen es, die fünf Tracks und 40 Minuten Laufzeit mit fesselnden Ideen zu füllen.
Tracklist: Cruel Wonders Clay Vessels (14. Oktober 2021, Eigenproduktion)
01 – The Crown
02 – Heart Like Water (feat. Davide Borghi/Albireon)
03 – Lonely Sits The City
04 – My Anguish
05 – The Gold
Gleich der erste Track, „The Crown“, gibt die Richtung vor. Nach einem industrialesken Intro mit Hammerschlägen, die sich durch den Song ziehen, und dem Verweben mit zarten Gitarrenakkorden, setzt Tamar Singers kraftvolle, markante Stimme ein. Nachdem der Song ab dem ersten Refrain Fahrt aufnimmt, verleihen Tempiwechsel und kleine Twists „The Crown“ eine hypnotische Dramatik, die durch orientalisch angehauchte Melodiebögen noch verstärkt wird. „Heart like Water“ wird durch Davide Borghi (Albireon) ergänzt, mit dem Tamar das oben erwähnte Split-Album unter ihrem Alter Ego Zeresh unter der Beteiligung einiger Gastmusiker aufnahm; jedoch ist der Song klar unter der rockigeren Marschrichtung von Cruel Wonders zu verorten und kein Zeresh-Song.
Besonders bei „My Anguish“ gibt es atmosphärische Anleihen in den 1990er Jahren, als wir eine beispiellose Präsenz von Singer/Songwriter:innen wie Tori Amos, Joan Osborne, Meredith Brooks oder auch Beck erlebten, die Geschichtenerzähler, die nicht mehr als eine Gitarre oder ein Piano benötigten, um eine packende Stimmung zu erzeugen und die wir im Retorten- und Autotunezeitalter schmerzlich vermissen.
„The Gold“ bildet mit seinen düsteren Akkorden und dem intensiv-sphärischen Gesang Tamar Singers einen dramatischen Schlußpunkt.
Clay Vessels kommt im vorwiegend verhaltenen Tempo daher, sparsam aber wirkungsvoll instrumentalisiert und mit spannenden Soundeffekten versehen. Und je mehr Durchgänge dieses Album erfährt, umso mehr erhalten die Songs ihren Ohrwurmcharakter, graben sich die Melodien und Harmonien ins Gehör und Gehirn, rühren sie etwas tief im Inneren an. Ein Sehnen nach etwas, das sich nicht mehr greifen läßt. Wenn Sally Oldfield und Peter Steele ihren musikalischen Genpool nach einer oder zwei Flaschen Rotwein, genossen im nebeldurchtränkten nächtlichen Herbstwald bei einer Mondfinsternis, zusammengerührt hätten, wäre etwas in Richtung Cruel Wonders dabei entstanden.
Wie Sally setzt Tamar ihre Stimme im gesamten Spektrum zwischen sanft und sinnlich über hypnotisch-beschwörend bis durchdringend-dominant ein und phrasiert so kunstvoll, so verletzlich und dennoch so voller Kraft – das ist ganz großes Kino.
Ohnehin ist Clay Vessels ein akustischer Film Noir – atmosphärisch dicht, ein Hauch Suspense, eine kühle Ästhetik und ein gerüttelt Maß an Melancholie. 40:32, die viel zu schnell vorüber sind. Heavy Rotation!
Cruel Wonders bei Bandcamp
Cruel Wonders bei Facebook