„In meinen Texten für HAVEN will ich vor allem Fragen stellen.“ – Interview mit Norman von HAVEN
HAVEN sind eine progressive, spannende Alternative- / Post-Metal Band aus Berlin, die wir euch hier auf SKULL NEWS schon vorgestellt haben. Uns gefallen ihre Düsternis in der Musik, die Zerrissenheit in der Stimme im Kontrast zu sehr eingängigen Melodien. Aber auch die ästhetischen Musikvideos, besonders „Samsara“ und „Rue“ mit ausdrucksstarken Performern, beeindrucken nachhaltig. HAVEN Sänger Norman hat sich für uns Zeit genommen, um mit uns über die kommenden Projekte der Band zu sprechen und was für ihn als Vocalist besonders wichtig ist.
Jasmin: Hallo, Norman, und vielen Dank, dass du dir Zeit für ein Interview mit SKULL NEWS nimmst!
Norman: Der Dank ist ganz auf unserer Seite! So richtig oft hatten wir bisher noch nicht die Gelegenheit, aber wir hoffen natürlich, dass das bald mehr wird!
Jasmin: Dann lass uns mal loslegen. Wer ist denn für dich ein Vorbild als Sänger von HAVEN?
Norman: Da gibt es mehrere Leute, schon seit meiner Jugend. Mein Haupteinfluss ist Maynard James Keenan von TOOL. Serj Tankian von System Of A Down war für mich auch sehr prägend. Sprachlich und textlich ist für mich tatsächlich damals Eminem ein Vorbild gewesen. Außerdem mag ich sehr Cedric Bixler-Zavala von The Mars Volta vom Ausdruck und der Performance her. Es gibt so einige Personen, die mich von ihrem Ausdruck her abgeholt haben, wie auch Mike Patton. Der ist ein krasser Typ, aber ich höre wenig Musik von Faith No More. Aber wenn ich den sehe, das macht irgendwas mit mir. Genauso wie der Sänger von Sigor Rós, einfach vom Ausdruck her. Da merkt man, da ist was Ehrliches darin! Nicht zu vergessen der Sänger von Amenra, Colin H. van Eeckhout. Colin ist für mich in den letzten zehn Jahren, in denen ich immer mehr zur härteren Musik gekommen bin, sehr wichtig geworden. Also meine drei größten Einflüsse sind definitiv Maynard, Serj und Colin.
Jasmin: Du bist ja mit am Songwriting beteiligt, wie gehst du normalerweise vor?
Norman: Ich beginne tatsächlich erst zu singen, ohne Text. Es ist erst die Musik da und die Gefühle. Wenn wir uns hinsetzen und vor uns hin jammen, dann singe ich erst einfach so zur Musik, oder ich schreie, weil ich meine Stimme eher wie ein Instrument behandele. Ich versuche zuerst, dass es für mich gesanglich mit der Musik Sinn macht. Ich bin ein großer Fan von catchy Melodien, oder von etwas in Richtung Mantra oder Chant. Und das muss dann zur Musik passen. Erst danach suche ich nach den Worten, die zu diesen Gefühlen passen. Das ist manchmal schwierig, weil man oft eine Melodielinie hat und dann müssen das so und so viele Silben sein. Wir beginnen also mit der Musik und ich singe irgendetwas dazu. Der Text kommt später. Das macht übrigens auch der Sänger von TOOL so. Ich habe das immer so gemacht und erst vor zirka einem Jahr hat Maynard in einem Interview erzählt, dass er eben auch nicht einen Text auf die Musik zwingen will, selbst wenn es dadurch mit dem Songwriting etwas länger dauert. Mir ist es einfach wichtig, meine Stimme wie ein Instrument zu nutzen und Gefühle auszudrücken.
Jasmin: Das ist eine echt spannende Herangehensweise! Da würde ich gerne einhaken. Ihr sagt, dass HAVEN vor allem die Konsequenzen unserer Handlungen reflektiert – dennoch, zugegebenermaßen, fällt es schwer die Lyrics in den Scream/Growl-Parts zu verstehen. Was meinst du dazu?
Norman: Ich finde es eh bemerkenswert, dass so viele Leute sich tatsächlich für unsere Lyrics interessieren! Es gibt ja auch viele Leute, die Musik nur so anhören. Für mich ist es einfach so, in unserer Musik gehört es auch dazu, dass man mal schreit. Ich finde aber auch wichtig, dass man die härteren Gesangstechniken nicht nur als ein Gimmick benutzt. Nur weil man harte Musik macht, muss man nicht immer schreien. In HAVEN singe ich sogar eher viel in Klarstimme und bringe catchy Melodien ein. Das Schreien soll für mich eine Dringlichkeit in bestimmten Teilen der Texte herüberbringen. In meinem Schreien versuche ich trotzdem möglichst klar zu sprechen, damit man mich versteht. Andererseits steht wie gesagt in diesem Moment für mich mehr der Ausdruck im Vordergrund. Dann muss man in dem Moment beim Verständnis Abstriche machen und hoffen, dass die Leute die Lyrics nachlesen. Es ist wie du sagst eine Gratwanderung, ich hoffe einfach, dass man trotzdem genug versteht, um neugierig zu werden.
Jasmin: Da helfen auch die Titel eurer Songs. Ihr habt oft interessante Titel, die neugierig machen, wie „Miasma“ oder „Rue“. Mir war zum Beispiel Miasma kein Begriff und da wollte ich wissen, worum geht es in dem Lied eigentlich?
Norman: Ich mag für HAVEN Songs am liebsten Titel mit mit einem einzelnen, spannenden Wort, weil ich ein bisschen ein Sprachnerd bin. Früher als Jugendlicher habe ich gerne im Brockhaus oder Duden geblättert und nach interessanten Wörtern gesucht. So habe ich das Wort „Miasma“ gefunden und mir aufgeschrieben, als ich so 17 Jahre alt war. Dieses Wort hatte ich immer im Kopf und schließlich als Songtitel verwendet. Ich suche also nach ungewöhnlichen, kurzen Wörtern. „Rue“ ist unsere neue Single, das wird englisch „rue“ ausgesprochen und bedeutet „Reue“. Es ist ein eher selten benutztes Wort, was mir gefallen hat. Also nicht französisch „rue“ die Straße, wie manche Leute erst einmal denken. Auch das macht neugierig.
Jasmin: Eure Musikvideos sind meist aufwendig und hochwertig produziert und erzählen regelrecht Stories und ergänzen so eure Musik. Wie kommt ihr auf die Ideen für eure Videos?
Norman: In unseren bisher drei Musikvideos kommen die Bilder und Stories überwiegend aus meiner Gedankenwelt. In Bezug auf die Texte, versuche ich, diese in Bilder und Symboliken umzusetzen, da ich auch selbst im Videobereich arbeite. Als audiovisueller Typ nehme ich oft eh schon Bilder wahr, wenn ich Musik höre oder Texte lese und stelle mir vor, wie man das darstellen könnte. Für „Rue“ stellte ich mir ein Theatersetting vor und hatte Kira Metzler als Performerin im Sinn.
Jasmin: Im aktuellen Video zur Single „Rue“ performst du ja zusammen mit Kira Metzler einen intensiven, getanzten Dialog. Und das sehr überzeugend. Hast du einen Hintergrund, eine Ausbildung im Bereich Tanz, Schauspiel?
Norman: Ich selbst nicht so wirklich. Aber seit Jahren gehe ich gerne in moderne Tanzstücke, wo es oft auch schöne Licht- und Musikkonzepte gibt. Contemporary Dance inspiriert mich sehr für meine eigene Performance. Bewegung in Kombination mit Ausdruck, mit Emotion, das habe ich für mich entdeckt. Ich habe schon zwei Kurse in dem Bereich gemacht und interessiere mich dafür, da mehr zu machen, Theater habe ich aber nie gemacht. Ich denke, dadurch, dass ich mich auf der Bühne frei bewegen kann, fällt mir das vielleicht leichter. Und wenn man dann keine Scheu davor hat, vielleicht komisch auszusehen, dann kann man den Ausdruck übermitteln. Kira und Valentin, der Schauspieler im Video für „Samsara“, der auch ein Contemporary- und Butoh-Performer ist, haben sehr viel beigetragen. Wenn man so gute Leute hat, die einen dann an der Hand nehmen, und einen anleiten, dann kommt es gut rüber, auch wenn man, so wie ich, nicht viel Erfahrung hat. Wir haben zuvor feste Abläufe vereinbart und der Rest wurde dann improvisiert. Kalle Kallovsky hat mit seiner professionellen Kamera und Regie unsere Ideen und den Ausdruck, den ich gerne darstellen wollte, schön in Szene gesetzt.
Jasmin: Wenn du oder ihr frei entscheiden könntet, wie würden HAVEN idealerweise performen, in einem Saal oder meinst du, das kommt auch am helllichten Tag rüber?
Norman: Wir haben tatsächlich schon einmal am helllichten Tag gespielt, und zwar bei der Fête de la musique 2019 in Potsdam! Das ging ganz gut und ich denke, dass wir überzeugend sein können, wenn der Ausdruck stimmt. Aber bei HAVEN gehört einfach auch der visuelle Input mit dazu. Wir haben im Hintergrund ein Licht- und Visualkonzept, was die Songs und die Performance ergänzt. Bei der Bühnenshow ist eh nach oben keine Grenze, wenn man die Mittel und die Beziehungen dafür hätte. Ich persönlich mag Bühnenkonzepte und nicht so gerne, wenn Bands einfach im T-Shirt und in Jeans auf die Bühne kommen, ganz ohne Bühnengestaltung. In bestimmten Musikrichtungen passt das vielleicht, bei HAVEN sollen aber die Visuals eine zusätzliche Ebene aufmachen. Vielleicht klappt es irgendwann mal bei einem großen Festival wie Rock Am Ring oder Hellfest nachmittags zu spielen, das wäre schon was, und das würde sicher auch funktionieren. Aber HAVEN ist für uns eher was für einen dunklen Saal mit Lichtkonzept. Ergänzend wäre mal ein Konzert mit Performance-Tanz cool, aber eher mal punktuell, zum Beispiel für eine Release-Show. Ich hätte da wirklich Interesse.
Jasmin: Zum Thema Erfolg gehören ja auch noch weitere Schritte dazu, wie die Sichtbarkeit der Band auch auf Streaming-Plattformen. Oder eben professionelle Musikvideos. Nun macht ihr ja nicht gerade Musik, die typisch für Streaming ist, lange Songs, aufwändige Videos, nichts, was man einfach schnell durchzappen und konsumieren kann. Gleichzeitig gibt es heute Künstliche Intelligenz, mit der man „Musik“ schreiben und Videos kreieren kann. Wie steht ihr dazu und wo siehst du die Zukunft der Kunstform „Musikvideo“?
Norman: Nun ja, wie gesagt, Musikvideos ergänzen die Musik um visuelle Eindrücke und drücken idealerweise auch den Text nochmal anders aus. Also ich denke nicht, dass Musikvideos verschwinden werden. Klar können wir noch nicht wissen, was es später an Technologien geben wird. Aber ich denke nicht, dass Videos verschwinden. Es ist einfach eine Kunstform, die wichtig ist und auch das Image der Bands mitträgt. Wenn man an große Bands wie Rammstein denkt, wo die Lieder mit den Videos ein Gesamtkonzept formen, oder wenn man an TOOL denkt, wo die große Bühnenshow zur Musik dazugehört, da merkt man, dass das Visuelle einen großen Teil des Images der Bands trägt.
Interessanterweise braucht es bei der Künstlichen Intelligenz trotzdem noch den Menschen davor, der die Anweisungen gibt. Ich frage mich eher grundsätzlich, warum man überhaupt Künstliche Intelligenzen erschafft. Für HAVEN wird Künstliche Intelligenz für die Musik oder Videos erst einmal keine wirkliche Rolle spielen, höchstens das Thema, was diese mit dem Menschen auf der psychischen Ebene machen. Sich zu fragen, wo die Position des Menschen in diesem Universum ist, da bringt es natürlich eine neue Perspektive hinein. Und dennoch kann Künstliche Intelligenz das Leben einfacher machen! Darüber habe ich tatsächlich zuletzt nachgedacht. Das könnte vielleicht in unsere Texte einfließen.
Jasmin: Gibt es Themen, die über die du gerne in euren Songs sprechen möchtest, die aber so eine Herausforderung sind, dass dir dazu noch die richtigen Worte fehlen?
Norman: Prinzipiell nicht. Manchmal gibt es ein Thema, wo man merkt, da hat man noch nicht die Worte, es ist noch nicht stimmig. Dann gibt man sich mehr Zeit. Aber für mich gibt es kein spezielles Thema. In meinen Texten will ich eigentlich auch lieber Fragen stellen, als Antworten geben. Weil sich alles immer weiterentwickelt, da will ich keine definitiven Antworten geben. Klar, in der Art wie ich die Fragen stelle, kann man schon meine Haltung ablesen, wenn man genau hinsieht. Aber eigentlich will ich möglichst viele Perspektiven aufmachen. Und in einigen Songs nehme ich bewusst eine Perspektive ein, die eben nicht meine Meinung spiegelt. Das ist eine Herausforderung an sich selbst! Also HAVEN-Texte sind nicht immer genau meine Meinung. Grundsätzlich finde ich, dass es bei vielen Themen kein klares Richtig und Falsch gibt und man alles dazwischen diskutieren kann.
Jasmin: „Rue“ ist eure aktuelle, neue Single. Was können wir von HAVEN musikalisch demnächst erwarten? Ein neues Album? Eine Tour?
Norman: Wir arbeiten am Album! Wir sind mittendrin, die Lieder zu schreiben und haben ein kleines Label gefunden. Es steht noch kein definitiver Termin für den Release, aber wir planen, es Ende dieses Jahres oder Anfang 2024 zu veröffentlichen. Vorher kommt auf jeden Fall noch eine zweite Single mit Video heraus!
Jasmin: Das sind gute Neuigkeiten! Dann danke ich noch einmal für deine Zeit und freue mich auf das nächste Mal.
Norman: Auf jeden Fall.
Sobald es Neues von HAVEN gibt, erfahrt ihr es auf SKULL NEWS! Bis dahin könnt ihr mal in ihre EP Vessel reinhören, die wir hier vorstellen.
Musik und Merch, Infos über HAVEN auf der Webseite.